Iran – Das Ringen um die Deutung des Islams

Makarem_Shirazi

mehriran.de – Die Islamische Republik Iran legitimiert sich über die Zugehörigkeit zur Religion des Islams. Obwohl diese Etikettierung Eindeutigkeit suggeriert, ist sie in der alltäglichen, gesellschaftlichen und politischen Realität alles andere als eindeutig und äußerst problematisch.

mehriran.de – Die staatliche iranische Geistlichkeit – im Iran sind Religion und Staat aufs Engste verflochten – definiert ihren Islam als eine politisierte Erweiterung der schiitischen Richtung, die einst eher quietistisch-passiv und auf ein Leben nach dem Tod durch hilfreiche Taten und ritterliches Benehmen ausgerichtet war. Die Politisierung der Schia hat sich in vielen Schritten vollzogen. Einer der Wendepunkte hin zu einer aktiven Einmischung in politische Belange und Gestaltung der Politik war Ajatollah Chomeinis Konzept des Velayat-e Faghi (Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten), das seit der Revolution gegen den Schah vor fast 40 Jahren die staatstragende Ideologie im Iran geworden ist. Doch nach dem Tod des obersten Revolutionärs Chomeini, finden immer wieder neue Wellen der Auseinandersetzungen über die Interpretation des Islam statt. Die einen lassen eine Definition des Islams nur auf Basis des Korans zu, andere berufen sich auf Überlieferungen und angebliche Aussagen und Taten Mohammeds, die Hadithen und andere Sammlungen.

Durch die Ernennung Ali Chamenei’s, der dem Revolutionsführer Ajatollah Chomeini, auf dem Thron des Obersten Rechtsgelehrten folgte, entstanden innerhalb der Führungsschicht auch politische Legitimationsdiskussionen, da Chamenei bei seinem Antritt einen sehr niedrigen religiösen Rang mangels Studium des Islams besaß und in der Nachfolge umstritten war. Zwar versuchte er diesen Makel zu kompensieren, doch hat ihn besonders die Perspektive des aus dem Irak stammenden Mahmoud Hashemi Shahroudi geprägt, der eine durch und durch legalistische Perspektive des Islam vertritt. Shahroudi wurde vor wenigen Tagen von Chamenei als Nachfolger des im Januar verstorbenen Vorsitzenden des Schlichtungsrates Akbar Rafsandschani installiert. Shahroudi gehört zum fundamentalistisch-legalistischen Lager, das hinter Chamenei steht. Ein Schritt, der von Kommentatoren als Antwort Chamenei’s auf die für seinen Favoriten Ebrahim Raeisi verloren gegangene Präsidentschaftwahl gedeutet wird. Auch Raeisi, der dem gleichen religiös-politischen Lager angehört, fand neben einem weiteren unterlegenen ehemaligen Präsidentschaftskandidaten, Mohammed Bagher Qalibaf, ehemaliger Bürgermeister Teherans und Pasdar, Eingang in den Schlichtungsrat. Chamenei scheint vom Volk abgelehnte Bewerber seiner Wahl gerne in Posten zu heben, die allein durch seine Entscheidung besetzt werden.

Mohammed Mesbah Yazdi

Mit diesen Entscheidungen ist der Justizapparat, der Wächterrat, der Expertenrat und der Schlichtungsrat in den Händen eher revolutionär-fundamentalistisch gesonnener Zirkel um Chamenei.

Präsident Hassan Rohani, der international weitaus bekannter ist als Chamenei, kann sich noch nicht mal auf seine Regierungsmannschaft stützen, denn auch hier sind einige Kandidaten nur unter Zustimmung des Obersten Führers möglich gewesen. Immerhin ist Mostafa Pourmohammadi, der mit den Morden an Tausenden Gefangenen im Jahr 1988 in Verbindung gebracht wird, nicht wieder auf seinen Posten als Justizminister berufen worden. Neuer Justizminister ist der ehemalige Stabschef des Teheraner Justizministeriums Alireza Avayi.

Während auf internationalem Parkett Iran meistens mit dem Atomprogramm, Sanktionen durch die USA oder bewaffneten Konflikten in Syrien, Irak und Jemen in Verbindung gebracht wird, spielt sich im Hintergrund im Innern des Landes der Kampf um die Deutung des Islams und damit der Legitimation des Regimes ab.

Protagonisten der Deutungshoheit

Einige der in diese Auseinandersetzungen involvierten Geistlichen, wie zum Beispiel Makarem Shirazi oder Mohammed Mesbah Yazdi haben hohe staatliche Funktionen im Iran inne, andere Rechtsgelehrte sind aus dem Land geflohen, wo sie sich freier bewegen können und auch freier forschen können. Einige sorgen immer wieder für Unruhe unter den Geistlichen und ihren Schülern im Iran, weil sie mit fundierten Argumenten und auf den Koran gestützt die Überzeugungen und Dogmen der staatlichen Geistlichkeit ins Wanken bringen.

Die im Westen bekannteren Geistlichen heissen Mohammed Modschtahid Schabestari, Abdolkarim Sorush oder Hassan Yussefi Eshkevari. Ihren Thesen werden sporadisch in deutschen und englischen Publikationen vorgestellt. Ihre Gedanken werden aber im Iran von der staatlichen Geistlichkeit abgelehnt und bekämpft. Ihr Bekanntheitsgrad in der iranischen Bevölkerung ausserhalb intellektueller Kreise ist sehr gering.

Mohammed Shabestari

Abdolkarim Soroush

Hassan Youseffi Eshkevari

Einer der höchsten geistlichen Würdenträger Irans heißt Makarem Shirazi. Er ist 92 Jahre alt. Seine Korankommentare wurden bisher in religiösen Seminaren in Qom und Maschhad als Unterrichtsmaterial eingesetzt. Er ist in den letzten Jahren durch verschiedene Menschen diskriminierende Fatwas aufgefallen. Seine Version von Islam ist geprägt von Ausgrenzung, Intoleranz und beruht auf Hadithe und Aussprüche, die man dem Propheten in den Mund gelegt hat, statt auf dem Koran.

Letzte Woche wurde er von einem Theologie Studenten in Mashad mit Fragen zur Interpretation des Korans konfrontiert, die ihn dazu brachten zu sagen seine Korankommentare würden nicht mehr den Umständen der Zeit entsprechen. Er begründete seine Aussage damit, dass sogenannte „Feinde des Regimes“ die Macht der Geistlichkeit im Iran beenden wollten und man deshalb aufs Neue mit wissenschaftlichen Methoden an den Koran herangehen müsse. Das ist ein großes Eingeständnis für einen der höchsten religiösen Würdenträger und eine Folge vieler Auseinandersetzungen um Islam.

Wie der unermüdlich auf Menschenrechtsverletzungen im Iran hinweisende französisch-iranische Religionswissenschaftler Seyed Mostafa Azmayesh betont, liegt die große Diskrepanz in der Auslegung des Islams durch Theologen und andere Menschen, die, anstatt den Koran eigenständig und vernunftbegabt heranzuziehen, sich ungesicherten Legenden und Überlieferungen widmen.

Seyed Mostafa Azmayesh

Azmayesh tritt regelmäßig in einem aus dem Westen betriebenen Internet TV Sender (DorrTV // Livestream ParsaTV/DorrTV) auf, der im Iran dank der häufig verwendeten Filter gesehen werden kann. Dort bietet er unter anderem Gedanken zu einer korangestützten Islam Version an, die ganz im Sinne der Menschenrechtscharta ist. Dazu zieht er neueste wissenschaftliche Funde und Erkenntnisse heran, die er in dem Buch „Neue Forschungen zum Koran – Wie und warum es zu zwei gegensätzlichen Islam Versionen gekommen ist“ auch für westliche Leser niedergelegt hat.

Seine Thesen wecken vor allem das Interesse von Theologiestudenten und ihrer Lehrer in Qom, die immer wieder mit aus den Sendungen von Azmayesh inspirierten Fragen auf staatliche Würdenträger zugehen und um ihre Einschätzung bitten. Das bringt diese Geistlichen immer wieder in Verlegenheit, denn sie scheinen die Quelle ihres Glaubens – den Koran – nur sehr oberflächlich zu kennen und sind es gewohnt sich auf Überlieferungen statt auf den Koran zu stützen. Viele seiner Programme wenden sich aber auch an die Bevölkerung, die zum großen Teil von den Machenschaften der Regimeverantwortlichen im Namen des Islams frustriert sind und sich komplett vom Islam abwenden. Hier werden geschichtliche, kulturelle und gesellschaftliche Zusammenhänge aufgezeigt, die die Wurzel des Islam als voll vereinbar mit den modernen Menschenrechten und säkularen und demokratischen Werten dastehen lassen. Er zeigt die Wurzel des Islams nicht als Religion, sondern als individuellen Schulungsweg zur Gottesschau. Ein Thema das durchaus eine breite Bevölkerungsschicht im Iran anspricht, wodurch seine Programme zunehmend Gefallen finden.

Azmayesh zeichnet starke Kontraste zwischen den Argumenten der iranischen Geistlichkeit, sowie den Handlungen des Regimes basierend auf Interpretationen, die sich auf Überlieferungen beziehen und Interpretationen von Islam, die sich auf die Lehren des Koran stützen. Dabei versteht er es neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf Entstehung des Korans einzubringen, die sogar höchste religiöse Würdenträger im Iran als sehr unwissend aussehen lassen. Zumindest ist die Geistlichkeit immer wieder gezwungen auf seine Thesen zu reagieren. Vor acht Jahren wurde die Strafe der Steinigung nach einigen Vorträgen Azmayesh’s zum Thema Steinigung (sangsâr) gemäß den koranischen Lehren nach eingehender Diskussion in höchsten religiösen Gremien und im Parlament aus dem Strafenkatalog der Islamischen Republik entfernt.

© Helmut N. Gabel für mehriran.de

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