Das Kapitel über die Frauen im Koran, Sure 4 an-Nisa‘

mehriran.de – Dieses Essay gründet auf mehreren Gesprächen mit dem französisch-iranischen Koranforscher Dr. Seyed Mostafa Azmayesh, der daran arbeitet, eine korangestützte Auffassung von Islam aufzuzeigen. Diese ist vollständig deckungsgleich mit der modernen Menschenrechtscharta und menschlichen Werten. Dazu gehören unter anderem auch die Rechte für Frauen, die laut Koran den Männern gleichgestellt sind. Autor: Dr. Patricia Glitz

mehriran.de – Dieses Essay gründet auf mehreren Gesprächen mit dem französisch-iranischen Koranforscher Dr. Seyed Mostafa Azmayesh, der daran arbeitet, eine korangestützte Auffassung von Islam aufzuzeigen. Diese ist vollständig deckungsgleich mit der modernen Menschenrechtscharta und menschlichen Werten. Dazu gehören unter anderem auch die Rechte für Frauen, die laut Koran den Männern gleichgestellt sind.

1.1. Der Okzident versucht Islam zu verstehen

Die gegenwärtige politische Situation in Europa und im Mittleren Osten wirkt auf die Lehren des Islam und die Muslime herausfordernd. Es agieren Fundamentalisten im Namen der Religion oder im Namen des Höchsten dieser Religion, missbrauchen die Religion jedoch lediglich für ihre eigensüchtigen Zwecke und Machtinteressen. Gleichzeitig versuchen staunende und erschrockene Bürger der Industrienationen, den Sinn und die Hintergründe der Kriege im Mittleren Osten und die terroristischen Akte, die auch Europa erreicht haben, zu verstehen und einzuordnen. Leider ist der Versuch, die Komplexität der gegenwärtigen Lage zu erfassen, oft durch Angst getriebene Vorurteile und Klischees bestimmt. Das kann man auch an der wachsenden Stärke rechter Parteien in Europa ablesen.

Obgleich manche Bürger im Westen sich in ihren Urteilen durch vorgefertigte Meinungen, Vorurteile oder diffuse Ängste leiten lassen – was sie zu einer pauschalen Ablehnung von allem veranlasst, was außerhalb ihres Kultur- und Glaubensverständnisses liegt – leben nicht wenige in Europa, die ernsthaft die Lehren des Islam verstehen wollen.

Tiefgreifende, verlässliche und glaubwürdige Quellen zum Islam sind jedoch auf Grund der Flut von Informationen nicht leicht auszumachen. Hinzu kommt, dass die Beschäftigung mit Übersetzungen der grundlegenden Schrift der Muslime – dem Koran – in vielen Fällen zu mehr Verwirrung und Irritationen führt. Der Koran ist ein komplexes Buch, geschrieben in einer hermeneutischen Weise, in einer Sprache, die in großen Teilen nicht dem heutigen Sprachverständnis entspricht und er enthält mehrere Bedeutungsebenen, die nicht offensichtlich sind. Dadurch sind alle vorliegenden Übersetzungen mit großer Vorsicht zu genießen. Denn den Koran zu übersetzen, ist eine umfassende und nur mit viel Hintergrundwissen zu bewältigende Aufgabe.

Dieses Essay gründet auf mehreren Gesprächen mit dem französisch-iranischen Koranforscher Dr. Seyed Mostafa Azmayesh, der daran arbeitet, eine Koran gestützte Auffassung von Islam aufzuzeigen. Diese ist vollständig deckungsgleich mit der modernen Menschenrechtscharta und menschlichen Werten. Dazu gehören unter anderem auch die Rechte für Frauen, die laut Koran den Männern gleichgestellt sind.

1.2. Die Sure der Frauen und das Entstehen eines Familienkonzepts in der Zeit der Unwissenheit (Jahiliyyah)

Dafür werden wir die 4. Sure, an-Nisa‘ (die Frauen), im soziokulturellen Kontext ihrer Entstehungszeit untersuchen. Gewöhnlich wird diese Sure mit Vorliebe von Fundamentalisten herangezogen, um ihre geringschätzige Behandlung von Frauen zu begründen und sich dafür auf den Koran zu berufen. Dieses Essay stellt ein durchgehend gegenteiliges Bild aus den Aussagen dieser Sure vor, die, laut diesem Bild, Folgendes hervorhebt:        

(a) eine Gewährleistung der unveräußerlichen Rechte der Frauen auf Selbstführung und Unabhängigkeit und

b) Einführung eines Familienkonzeptes in die Stammesgesellschaft der Arabischen Halbinsel in der Zeit der Unwissenheit.

Das Essay untersucht diese Thesen und geht auf weitere Schwierigkeiten in Bezug auf Deutung und Verstehen des Korans ein. Die Sure an-Nisa‘ kann als Beispiel dienen, wie die Aussagen einer Sure beträchtlich verfälscht werden können, weil es an notwendigem Tiefgang und Hintergrundwissen fehlt. Viele kontroverse Debatten sind auf Grund dieser Sure an-Nisa‘ geführt worden, deren irreführenden Deutungen wesentlich zu einem Bild des Islam als Religion des Hasses und der Intoleranz beigetragen haben.

Im Folgenden lassen wir die Übersetzung zweier Verse (34 und 35) der Sure an-Nisa‘ (Sure 4) sprechen, wie sie auf einer öffentlich zugänglichen Webseite zu finden sind[1]:

(34) Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben. Darum sind tugendhafte Frauen die Gehorsamen und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit Allahs Hilfe wahren. Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede. Wahrlich, Allah ist Erhaben und Groß.

(35) Und wenn ihr einen Bruch zwischen beiden befürchtet, dann sendet einen Schiedsrichter von seiner Familie und einen Schiedsrichter von ihrer Familie. Wollen sie sich aussöhnen, so wird Allah Frieden zwischen ihnen stiften. Wahrlich, Allah ist Allwissend, Allkundig.

Die Sure in arabischer Sprache:

1.3. Wechselwirkungen verschiedener Verse und Suren

Bevor wir jetzt auf diese Verse näher eingehen, sollten wir uns vor Augen halten, wie wichtig die gleichzeitige Betrachtung der Verse und ihr Verhältnis zueinander für eine Deutung sind. Würden wir Verse herausgelöst und nur für sich betrachten, so wird man gewiss ihren Sinn entstellen. Man könnte sogar so weit gehen und sagen, dass ein wahres Verständnis des Korans nur durch eine Gesamtbetrachtung aller Verse und der sie jeweils umgebenden Suren möglich wird. Dazu kommen noch notwendigerweise der historische und kulturelle Kontext der Entstehungszeit ohne die ein Verständnis undenkbar erscheint.

1.4. Historischer Kontext für die Entstehung der Sure an-Nisa‘

Die Lebensumstände für die allermeisten Frauen auf der Arabischen Halbinsel zu Lebzeiten Mohammeds waren hart und belastend. Polygamie war normal. Oft hatten Männer zwei oder mehrere Frauen, die im Stammeszelt lebten. Das Gebilde einer Familie, wie wir sie heute kennen, existierte noch nicht. Stattdessen war die Gesellschaft von Stammeshierarchien durchsetzt und die Menschen identifizierten sich mit ihrer Stellung innerhalb des Stammes. Es gab zahlreiche Clans (eshere), die Teil eines größeren Stammesverbandes waren (ghabile). Mohammeds Familie gehörte beispielsweise zum Clan der Banu Hashim, die wiederum zum größeren Verbund der Quraisch gehörten. Diese Stammesstruktur und Hierarchie war üblich zu Mohammeds Lebzeiten und bildete den Rahmen für etwas, was wir heute als Familie kennen. Während die meisten Menschen im Westen heute die Zelle einer Familie als eine freie gewählte Beziehung zwischen zwei Menschen betrachten, gründete die Stammesstruktur aus jener Zeit auf einem patriarchalen System, dem ein Mann vorstand, der alleiniger Entscheider war. Im Ergebnis war eine Frau dadurch vollständig dem Wohlwollen ihres Mannes ausgesetzt, da kein Gesetz ihr Rechte einräumte. Kam eine Frau zum Beispiel den Bedürfnissen und Wünschen ihres Gatten nicht nach, konnte er sie recht schnell verlassen.

Mohammed war in seiner Zeit zunächst mit verschiedenen Normen und Gesetzen konfrontiert. Er war dadurch nicht nur ein Prophet und spiritueller Begleiter, sondern auch Staatsmann und Anführer, der mit weltlichen und gesellschaftlichen Angelegenheiten umzugehen hatte. Das bedeutet, dass Mohammed sich eingehend mit vorhandenen Gesetzen auseinandersetzen und wo nötig, sich um die Schaffung neuer Gesetze kümmern musste. Dies berücksichtigend, können wir zwischen drei Arten von Gesetzen in der Zeit Mohammeds unterscheiden:

1. amdahi: diese Gesetze stammen aus der Zeit vor Mohammed und wurden durch seine Unterschrift und Siegel bestätigt und legitimiert.

2. tasisi: bezieht sich auf Gesetze, die aus der Zeit vor Mohammed stammten und die er vollständig zurückgewiesen und durch neue Gesetze ersetzt hat.

3. taghiri: diese Gesetze stammen aus der Zeit vor Mohammed und sind von ihm modifiziert worden.

1.5. Die Sure an-Nisa’: Versuch einer Sozialreform

Die Sure an-Nisa‘ bezieht sich auf einen Fall von tasisi. Mohammed weist hier ein altes Gesetz zurück, das Frauen aktiv benachteiligte und unterdrückte und ersetzte es durch ein Neues. Ein Vers der Sure sagt:

Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben.

Sehr oft wird dieser Satz aus dem Zusammenhang gerissen und als Argument missbraucht, um eine patriarchale Gesellschaft und das Kleinhalten von Frauen zu rechtfertigen. Im Gegensatz dazu, gehen dieser Vers und seine Nachbarverse jedoch auf das Thema Nàfàgheh ein, das auf den Schutz der Rechte der Frauen abzielt.
Gemäß dem Konzept von Nàfàgheh, ist es Aufgabe des Ehemanns für seine Ehefrau zu sorgen. Laut Koran ist der Ehemann von dieser Aufgabe auch solange nicht befreit, bis die Frau einen anderen Mann hat. Somit liegt der finanzielle Unterhalt der Familie auf den Schultern der Männer, die ihre Frauen auch in dem Fall versorgen müssen, wenn die Frauen reich sind oder ein hohes Einkommen haben. Ergänzend dazu, kann eine Frau ihre Einnahmen für sich behalten, während der Mann seine Einkünfte mit seiner Frau und der Familie zu teilen hat.

Offensichtlich geht es hier um Verpflichtungen und Verantwortungen, die als Teil der Familiengesetze im Islamischen Recht enthalten sind.

Die zweite Zeile des Verses wird oft folgendermaßen übersetzt:

Darum sind tugendhafte Frauen die Gehorsamen und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit Allahs Hilfe wahren.

Häufig verwenden konservative und fundamentalistisch gesinnte Muslime diesen Absatz des Verses, um zu zeigen, wie eine gute Muslima sich ihrem Mann gegenüber zu verhalten habe. Islam Kritiker hingegen nutzen den Versabschnitt, um aufzuzeigen, wie die Lehren des Islam an sich die Unterdrückung der Frauen enthalten. Eine nähere Betrachtung und differenziertere Übersetzung jedes Wortes zeigt, dass zwei unterschiedliche Arten von Frauen genannt werden:

Es gibt die a) salehat = rechtschaffenen Frauen, ghanetat = betenden Frauen und hafezat lel-gayb bimâ hà da Allah = Frauen, welche die verborgenen Werte schützen, da Gott sie verborgen hält.

Auffälig ist die Veränderung des Tonfalls. Anstatt von „tugendhaften Frauen, die sich ihren Männern unterwerfen“, vermittelt der Vers ein Bild der Frauen, die weise sind und Werte schützen. Dieser Teil der Verse bezieht sich auf jene Frauen, die zu Hause die Werte schützen und im Heim und in der Familie für Harmonie sorgen.

Der Vers beschreibt im weiteren Verlauf eine zweite Kategorie von Frauen,

b) Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet

Dieser Teil des Verses bezieht sich auf jene Frauen, die sich gegen ihre Männer und ihre Familie stellen und die den Hausfrieden gefährden, weil sie ihre Gefühle und Temperamentsregungen nicht regulieren können.

Wie schon erwähnt, wird dieser Vers in seiner irrigen Übersetzung gerne von Männern gebraucht, um die Unterdrückung von Frauen zu rechtfertigen. Wir sollten uns in diesem Zusammenhang aber auch klarmachen, dass dieser Vers an die Richter und Konfliktschlichter jener Zeit gerichtet war. Diese Personen hatten die Aufgabe Konflikte innerhalb der Familien- und Stammesverbänden zu regeln.

Es war zu Mohammeds Lebzeiten für die Leute üblich, über aktuelle soziale Fragen zu diskutieren. Richter und Konfliktschlichter suchten den Rat Mohammeds, wie sie mit häuslichen Streitigkeiten umgehen sollten. Dies korrespondiert mit den gesellschaftlichen Veränderungen auf der Arabischen Halbinsel: viele Stammesmitglieder schlossen sich den Muslimen an. Frauen begannen sich gegen die Unterdrückung in der Gesellschaft zu wehren. Die Männer waren die Unterwerfung der Frauen gewohnt und mussten sich jetzt mit neuen Lebensumständen beschäftigen, in diesem Fall mit Frauen, die nicht länger willig waren, sich mit der Rolle der gehorsamen Frau abzufinden. Dieser Fall von Widerstand wird auch als Noshouz bezeichnet.

In der Konsequenz mussten die Richter lernen, wie sie mit dieser neuen Situation umzugehen hatten, denn eine Gesellschaft war am Entstehen, die nach langen Perioden der offenen, achtlosen und direkten Diskriminierung, endlich die Rechte aller seiner Mitglieder respektieren sollte. Daher zielte der Vers darauf, die Richter und Konfliktschlichter zu unterstützen, wie sie mit häuslichen Streitigkeiten gut umgehen konnten und wie sie Männern helfen konnten, deren Situation zu Hause schwierig war. Die Sure gibt keinem Mann das Recht, Frauen zu schlagen, zu unterdrücken, zu bedrohen oder zu diskriminieren. Stattdessen setzte dieser Vers eine Grundlage, um die Zelle einer Familie, die sich auf eine Partnerschaft zwischen zwei Menschen stützt, in die Stammesgesellschaften der Arabischen Halbinsel einzuführen. Dadurch wurden Frauen gleiche Rechte verliehen und zum Schutz dieser Rechte aufgerufen.

1.6. Die Sure an-Nisa’ und der Fall des Noshouz

Im nächsten Teil des Verses, bietet Mohammed den Richtern und Konfliktschlichtern einige Vorschläge, wie sie Männern raten können, die mit Noshouz konfrontiert sind. Der Vers lautet:

ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede.

Wenn man vor familiären Problemen des Noshouz steht, sollte man in drei Stufen vorgehen:

موعظه ( diese Verbform entstammt der Wurzel des arabischen Wortes mowezeh )

1.  فَ ِعظُو ُه ّن ( ratet ihnen) und bezieht sich einfach darauf Frauen zu mit Rat zur Seite zu stehen, wie sie mit der Situation zu Hause umgehen können

2. verlasst die gemeinsame Bettstatt und lasst sie (die Frau) alleine zu Hause Fahjorouhonnà mazaje’ehennà (ِاُ ْه ُج ُرو ُه ن فی اُاْ َم َضا ِجع).

Dieser Teil des Verses rät den Männern das Zelt zu verlassen und die Frauen alleine zu lassen. Dieser Rat mag zwar auf den ersten Blick hart scheinen, jedoch handelt es sich um einen Rat Distanz zu gewinnen. Wir würden heute davon sprechen der aufgeheizten Situation Zeit zu geben und sie abkühlen zu lassen.

3. schließlich schlagt sie (اُ ْ ِضبُو ُه ن fàzrebouhonna) bezieht sich darauf, ihnen keine Wünsche zu erfüllen, wenn sie um Geschenke und Gefallen bitten.

Es ist insbesondere dieser letzte Teil des Verses, um den sich viele Kontroversen und Diskussionen drehen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass dieser Vers das Schlagen von Frauen erlaubt. – Das Wort fàzrebouhonna wird tatsächlich häufig im Kontext der Strafgesetze benutzt und als Erlaubnis fehlgedeutet, Frauen schlagen zu dürfen. Stattdessen findet sich in dem Vers der Rat an die Männer, das Haus zu verlassen und den Unterhalt für eine Weile zurückzuhalten, in der Hoffnung, dass die betreffende Frau ihre Einstellung und ihr Verhalten ändern wird. Wichtig dabei ist, dass es unter der Aufsicht einer mit dieser Aufgabe betrauten Person stattfinden soll, wie einem Richter oder Konfliktschlichter. Die Bedeutung dieses Schlüsselwortes wird klarer, wenn wir den Vers näher untersuchen: Der Infinitiv des Begriffs fàzrebouhonna ist zarb (ضب), was mit anwenden übersetzt werden kann. Der Ausdruck zarb seke (ضب س ّكه) beispielsweise bezieht sich auf das Prägen von Münzen. Ein weiterer Ausdruck ist zarbul masal und bedeutet ein Beispiel geben. Zarb ist an sich ein Hilfsverb. Im Koran wird das Wort zarb 53 Mal verwendet, jedoch nie in Verbindung mit einem Ausdruck, der mit Schlagen zu tun hat, sondern immer im Zusammenhang mit geben oder anwenden. Zarb bedeutet also anwenden, fàzrebou ist eine Aufforderung im Sinne von wende an! und fàzrebouhonna bedeutet gehe ihnen gegenüber so vor! Wenn wir also nochmals auf fàzrebouhonna schauen, so meint es eine Maßnahme durchführen und nicht einen physischen Schlag ausführen. Gemeint ist die Maßnahme eine finanzielle Unterstützung oder den Unterhalt zurückzuhalten. [2]

Sobald die Frau ihr Verhalten verändert, muss die durchgeführte Maßnahme sofort eingestellt werden. Wenn die Frau keine Änderung ihrer Einstellung oder ihres Verhalten erkennen lässt, ist es deutlich, dass das Paar nicht mehr zusammenleben kann. Somit sollten Frau und Mann Abstand voneinander halten. Dann beginnt die Phase der Trennung, Shéghagh. In diesem Fall kehrt die Frau entweder in ihr Elternhaus zurück oder wenn sie entsprechend über Reichtum verfügt, kann sie für sich leben. Während dieser Trennungsphase ernennt ein Gericht für jede Seite zwei Mediatoren aus dem Verwandtenkreis. Gemeinsam verhandelt man dann einen Unterhalt für die Frau in der Trennungszeit, für den der Mann aufkommt, bis die Frau wieder heiratet. Mögliche Kinder dürfen unterhalb 8 Jahren nicht von der Mutter getrennt werden. Stattdessen muss der Mann für den Unterhalt für die Kinder und die Mutter aufkommen. Nach Vollendung des 8. Lebensjahrs ziehen die Kinder zum Vater und von diesem Zeitpunkt an, erhält die Frau nur noch den Unterhalt für sich selbst.

In der Fortsetzung der Verse 34 und 35, findet sich die Vermittlung zwischen Mann und Frau:

Und wenn ihr einen Bruch zwischen beiden befürchtet, dann sendet einen Schiedsrichter von seiner Familie und einen Schiedsrichter von ihrer Familie. Wollen sie sich aussöhnen, so wird Allah Frieden zwischen ihnen stiften. Wahrlich, Allah ist Allwissend, Allkundig.

Dieser Abschnitt betont, dass die weißbärtigen Scheichs und älteren Weisen der Gesellschaft Verantwortung haben, zwischen dem streitenden Paar zu vermitteln. Die Hinweise des Verses sind an diese Leute gerichtet. Der Vers erwähnt explizit das Wort sheghâgh, das Dissens und Trennung bedeutet, während das Wort tàlâgh sich auf Scheidung bezieht. Obwohl tàlâgh gar nicht vorkommt, missbrauchen Fundamentalisten den Vers gerne, um eine Scheidung von einer Frau zu rechtfertigen, der vorgeworfen wird, nicht gehorsam gewesen zu sein.

Weiterhin meint der Begriff eslâh ein Problem zu lösen, zum Beispiel durch eine Versöhnung. Wenn aber jede Partei an ihrer Position festhält, sollte eine Trennung erfolgen. Das Wort für Trennung in diesem Vers ist shéghagh (nicht talagh = Scheidung!). Und so heißt es weiter an die Mediatoren gerichtet, dass im Fall einer Trennung (shéghagh) ein Vermittler (hàkàm) aus der Familie des Mannes und ein Vermittler (hàkàm) aus der Familie der Frau gefunden werden muss. Diese Vermittler sollten sich über eine Lösung für das Paar beraten und einigen. Die direkte Ansprache im Vers bezieht sich auf die weisen Ältesten und Verantwortlichen innerhalb der Gemeinschaft. Nicht die Männer, die im Streit mit ihren Frauen sind, sind hier gemeint. Stattdessen wird die Rolle des Mediators hervorgehoben. Diese beiden Verse (34 und 35) leiten die Richter der muslimischen Gemeinschaft an, wie sie friedlich Familienstreitigkeiten regeln können.

Im ersten Schritt sollen die Richter die Männer beraten, wie sie mit der Situation umgehen können, dann wird das Paar im zweiten Schritt ermutigt sich zu versöhnen. Falls eine Versöhnung nicht möglich ist, wird im nächsten Schritt geraten jeweils zwei Vermittler aus jeder Familie zu finden, die gemeinsam eine Lösung und Vereinbarung für beide Seiten finden sollen.

Wie bereits hervorgehoben, legt der Vers eine Grundlage für die Bildung von Familien als Einheiten innerhalb der Stammesgesellschaften auf der Arabischen Halbinsel in der Zeit Mohammeds. Er war ein erster Schritt in der Umsetzung von Frauenrechten, die in jener Zeit von ihren Männern einfach verlassen und aufgegeben wurden. Stattdessen definiert der Vers einfache Regeln und Verantwortung der Männer ihren Frauen gegenüber. Dadurch gab es einen Vertrag zwischen dem Paar, der verhindern sollte, dass Männer nach Lust und Laune ihre Frauen aufgeben konnten. Man muss an dieser Stelle die gravierende soziale Veränderung in diesem Vers herausheben. Für jene Zeit war diese Veränderung ein großer Schritt in der sozialen Realität, auch wenn es aus westlicher zeitgenössischer Perspektive normal sein mag, dass ein Mann seiner geschiedenen Frau Unterhalt zahlen soll.

In der Tat erlaubt der Koran den Männern keinesfalls Frauen gegenüber gewalttätig oder ausfallend zu werden, weder in der Öffentlichkeit noch zu Hause. Stattdessen findet sich darin der Rat an Paare entweder friedlich und respektvoll miteinander zu leben oder sich einvernehmlich zu trennen. Weder legitimiert der Koran jegliche Anwendung von Gewalt oder Zwang, noch empfiehlt er Männern diese Methoden, um sich von Frauen ihre Begierden erfüllen zu lassen.

Damit übereinstimmend sagt Vers 19 der Sure an-Nisa‘ Folgendes:

O ihr, die ihr glaubt, euch ist nicht erlaubt, Frauen gegen ihren Willen zu beerben. Und hindert sie nicht (an der Verheiratung mit einem anderen), um einen Teil von dem zu nehmen, was ihr ihnen (als Brautgabe) gabt, es sei denn, sie hätten offenkundig Hurerei begangen. Verkehrt in Billigkeit mit ihnen; und wenn ihr Abscheu gegen sie empfindet, empfindet ihr vielleicht Abscheu gegen etwas, in das Allah reiches Gut gelegt hat.

Dieser Vers verlangt ausdrücklich von Männern gütig und freundlich mit ihren Frauen umzugehen, sogar, wenn sie Unmut oder Missfallen ihnen gegenüber empfinden sollten. Der Koran plädiert für einen gütigen und wohlwollenden Umgang, nicht für Respektlosigkeit, auch wenn das Paar in einer Phase sein sollte, in der es an Liebe mangelt und der Groll aufeinander überwiegt. Natürlich wird es für solcherlei Probleme keinen Raum geben, wenn Mann und Frau sich gegenseitig lieben und mögen. Doch sogar in Phasen der Zerrüttung, sollte es keinen Raum für grobes und unverschämtes Handeln geben. Beide werden aufgefordert freundlich zueinander zu sein und sich zu beherrschen, keine physische Gewalt auszuüben oder beleidigende Aussagen zu tätigen.

Es gibt einige Geschichten im Koran, die eine harmonische Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau zeigen und die Führungsrolle von Frauen im Haus und auch außerhalb schildern.

Man kann die Sure der Königin von Saaba (Sure 34) anführen. Diese Königin regierte ein großes Reich in der Lebenszeit König Salomos.

Anstatt die Königin von Saaba als Feindin zu betrachten, lud König Salomo sie nach Jerusalem ein und nahm sie mit einem großen Hofstaat und Musik in Empfang, wodurch er ihr Respekt zollen und seine Ehrfurcht vor ihr ausdrücken wollte.

Die Bienensure (Sure 16) und die Ameisensure (Sure 27) fokussieren beide die weibliche Führungsrolle. In beiden Suren sind es die Weibchen, die das jeweilige Volk führen und für das Wohlergehen sorgen. Dies sind gute Beispiele für die Art wie Frauen behandelt werden sollten und für die Verantwortung und Führungsrolle, die Frauen in der Gesellschaft haben sollten.

1.7. Wie konnte eine Abweichung von der ursprünglichen Bedeutung geschehen?

Man muss sich zurecht wundern, warum sich solch eine große Abweichung vom Originaltext entwickeln konnte. Wie können also zwei komplett unterschiedliche Übersetzungen derselben Verse vorliegen.

Dr. Azmayesh schlägt mehrere Faktoren vor, warum der Koran über Jahrhunderte fehlgedeutet und missbraucht worden ist. Hier sind drei davon:

1. Heutzutage verlassen sich viele Forscher und Religionsgelehrte auf die Hadithen und Revayat (Überlieferungen). Revayat sind aufgemachte Geschichten, die willkürlich und inkorrekt Mohammed, dem Begründer des Islam, zugerechnet werden. Innerhalb dieser Revayat gibt es Zitate, die dem Propheten zugesprochen werden. Man nennt sie Hadithe. Viele zeitgenössische Religionsgelehrte stützen sich auf diese Revayat und Hadithe, die im Lauf der Geschichte exponentiell an Zahl zugenommen haben, anstatt den Koran direkt einer Untersuchung zu unterziehen. So nennen wir das Beispiel des Abu Hurairah (Abū Hurayrah ad-Dawsī al-zahrani), der zu einer zentralen Figur in der Zeit nach Mohammed wurde. Abu Hurairah war ein anerkannter Gelehrter innerhalb der jüdischen Gemeinde, der tiefes Wissen über die Schriften jener Zeit hatte. Er kannte die Geschichten des Alten und Neuen Testaments, die nur kurz im Koran Erwähnung finden, wie z.B. die Geschichte von Noahs Arche. Durch dieses Wissen war Abu Hurairah zu seinen Lebzeiten eine sehr respektierte und hochgestellte Persönlichkeit. Drei Jahre bevor Mohammed starb trat er zum Islam über. In seiner weiteren Lebenszeit brachte Abu Hurairah 5000 Revayats hervor, die aus seinen Kenntnissen der jüdischen Religion stammten und die er aber Mohammed zurechnete. Heute existieren Unmengen an Revayat und Hadithen, die in den meisten Fällen schlichtweg erfunden wurden, um bestimmten Interessegruppen in ihrer Zielverfolgung zu dienen.

2. Ein zweiter Grund, den wir hier nennen werden, ist die Sprache des Korans und die Verwendung sowie der Einfluss einer beträchtlichen Anzahl vor-koranischer Schriften. Die im Koran verwendete Sprache ist wirklich sehr komplex, da sie nicht nur aus einer Sprache (Arabisch) besteht. Vielmehr ist sie eine Mischung aus Alt-Syrisch und Aramäisch, wodurch man diese beiden Sprachen kennen sollte, um die Begriffe des Korans in ihrer authentischen Bedeutung zu erfassen. Den Koran im Wortsinne zu übersetzen, ergibt eine falsche und missverständliche Übersetzung. Dazu kommt, wie schon erwähnt, dass vorhergehende Schriften einen signifikanten Einfluss auf den Koran hatten, was dazu führt, dass man neben der Beherrschung des Alt-Syrischen und Aramäischen, in der Lage sein muss, Wissen um die alten vor-koranischen Schriften in eine Annäherung an das Verständnis des Korans hineinweben muss. Übersetzer dessen sollten sich diesen Einfluss klarmachen und bei der Übersetzung berücksichtigen. Dennoch findet man in Buchhandlungen meistens, wenn nicht sogar ausschließlich, entweder wortwörtliche Übersetzungen, die diese Details nicht berücksichtigen oder poetische Interpretationen des Korans oder Übersetzungen von Übersetzungen oder Kommentare zum Koran. Man kann das mit den Büchern Shakespeares vergleichen, die in modernes Englisch übersetzt wurden und zum besseren Verständnis mit hinzugefügten Kommentaren garniert wurden.

Das führt dazu, dass eine fehlerhafte Übersetzung in weiteren Übersetzungen bedenkenlos fortgeführt wird. Somit braucht eine authentische Übersetzung des Korans ein hohes Maß an linguistischen, kulturellen und historischen Kenntnissen und Vielseitigkeit.

3. Zuletzt erklärt Dr. Azmayesh, dass der Koran aus drei Hauptteilen besteht:

I unmittelbare Unterweisungen, die sich auf die Entwicklung auf dem Pfad der Einheit, die Entwicklung hin zu einem edlen und tugendhaften Benehmen (Javanmardi) und die Schaffung einer gesunden Gesellschaft beziehen.
II Fragen zu verschiedenen Themen, die von verschiedenen Menschen unterschiedlicher Gruppen an Mohammed gerichtet wurden ( z.B. fragten sowohl christliche und jüdische Gelehrte als auch Stammesmitglieder und Beduinen) und
III Die Antworten Mohammeds auf die Fragen jener Leute.

1.8. Hinwendung zur Essenz des Islam

Diese Unterscheidung ist wesentlich und führt uns zurück zu unserer Betrachtung der Sure an-Nisa‘. Der Koran bietet den Menschen Rat und Lehren an (I) und zeigt Schilderungen und unmittelbare Erzählungen über die Umstände und die sozialen Strukturen in der Zeit Mohammeds. (II & III). Wir sehen jedoch am Beispiel der Sure an-Nisa‘, wie eine Beschreibung sozialer Gegebenheiten jener Zeit häufig für Handlungs-empfehlungen des Korans gehalten werden. So zum Beispiel, dass Männer Frauen beherrschen und unterdrücken sollten. In der Tat haben Fehldeutungen wie die eben erwähnte das Schlagen, die Steinigung und die Zwangsverheiratung von Mädchen und Frauen viele Jahrhunderte lang legitimiert. Dr. Azmayesh betont, das Ziel des Korans sei die Schaffung einer soliden und gerechten Gesellschaft. Die im Koran erwähnten Gesetze und Regeln bilden den Anfang dieses Ansinnens, das sich weiter und weiter entwickelt. Insofern können die im Koran erwähnten Prinzipien in Bezug auf das Zusammenleben der Menschen verändert und angepasst werden, wenn sie der Entwicklung der Menschheit dienlich sind und die Rechte des Einzelnen respektieren. Dies wird möglich durch das Prinzip der Ablösung oder Aufhebung (Naskh) gemäß den Anforderungen der Zeit. Für Dr. Azmayesh ist die Zeit gekommen, dass man die Essenz des Islams kennenlernt. Diese Essenz besteht in der Ermutigung, sinnreiche und gute Taten zu vollbringen und darin, alle Menschen ohne Rücksicht auf ihre Rasse, Weltanschauung, Herkunft oder Geschlecht zu lieben, zu respektieren und wertzuschätzen. Dies ist der Kern des Islam, wie der Prophet Mohammed ihn vorstellte.

Liste einiger im Essay verwendeter Schlüsselbegriffe und ihre Bedeutung:

amdahi: Gesetze aus der Zeit vor Mohammed, die von ihm durch Unterschrift und Siegel bestätigt wurden, wodurch er ihnen weitere Gültigkeit zumaß

Eslâh: das Problem lösen


Fàzrebou: wende an! (Imperativ)

Fàzrebouhonna: jmd./etw. betreffen

Ghanetat: betende Frauen

Jeld: to strike (when referring to striking the skin)

Mowezeh: raten, einen Rat geben

Nàfàgheh: Unterhalt, den ein Mann seiner Frau zu bezahlen hat

Noshouz: wenn eine Frau das Begehren ihres Mannes abweist

Salehat: gerechte, rechtschaffene Frau

Shéghagh: Trennung

Taghiiri: Gesetze, die von Mohammed verändert wurden

Tàlâgh: Scheidung

Talliun: Auge-um-Auge Prinzip

Tasisi: Gesetze aus der Zeit vor Mohammed, die er vollständig abgelehnt und durch neue Gesetze ersetzt hat

Zarb: anwenden (Infinitiv)


[1] Übersetzung stammt aus: islam.de

[2] Auf Arabisch heißt das Wort dafür, jemanden physisch zu schlagen „jeld“, das auch als Haut übersetzt werden kann. Im Koran wird dieser Begriff im Zusammenhang mit Ehebruch gebraucht, wobei die beiden am Ehebruch Beteiligten jeweils mit 100 Schlägen bestraft werden sollen. In jener Zeit war Ehebruch ein großer Tabubruch, denn der Betrogene und die gesamte Familie verloren ihr Gesicht in der Gesellschaft. Männer und Frauen erhielten die gleiche Strafe. Ehebruch ist Teil des Strafgesetzes. Ein weiterer Fall aus dem Strafgesetz ist, wenn ein Mann seine Frau schlägt. In diesem Fall ist es der Frau erlaubt, den Mann gemäß des Tallionsgesetzes (Auge um Auge) zurückzuschlagen. Diese Gesetze sind aber nicht in Stein gemeißelt. Die Frau kann auch entscheiden dem Mann zu vergeben und jede Strafe abzuwenden und/oder einen finanziellen Ausgleich zu fordern.

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Kritisch zum Regime. Hintergründe, Fotos, Berichte zu Iran. Positiv zu Land und Leuten.