Warum die sogenannte Islamische Republik Iran Sufis verfolgt
Beitrag für die Jahrestagung der Amnesty Iran Arbeitsgruppe am 05.06.2022
Aufbau:
- Die Ideologie der sogenannten Islamischen Republik Iran: Konstanten und Wandlungen.
- Angriffe des Regimes gegen Individuen und Gruppen, die als gefährlich gegen die Alleinstellung der Regime Ideologie eingeschätzt werden und daher ausgegrenzt, angegriffen und vernichtet werden.
- Warum werden Sufis verfolgt?
- Der Nematollah Gonabadi Orden und seine Stellung in der Gesellschaft.
- Das Oberhaupt des Ordens Dr. Tabandeh und seine Abwehr gegen Vereinahmungsversuche seitens des Regimes.
- Einsetzung eines vom Regime geführten irregulären neuen Oberhaupts. Orden im Chaos.
- Die Rolle von Dr. Seyed Mostafa Azmayesh aus Paris bei der Verteidigung des Ordens und wie wir aus dem Westen heraus helfen könnten.
1. Die Ideologie der sogenannten Islamischen Republik Iran: Konstanten und Wandlungen.
Die sogenannte Islamische Republik Iran hat seit den frühen 80er Jahren eine einmalige Staatsform, die Ajatollah Ruhollah Chomeini im Pariser Exil ausgearbeitet hatte: Velajat-e Faghi (die Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten). Im Kern besagt diese Staatsform, dass ein tief gebildeter und mit Gott verbundener Geistlicher in allen Lebensbelangen das letzte Wort hat, um die Schwächen der Bevölkerung auszugleichen und vor allem westliche Dekadenz abzuwehren. Dieser Anschauung unterliegt ein Menschenbild, das dem Individuum zutiefst misstraut und ihm jegliche Fähigkeit Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen abspricht. In Folge dessen, muss ein Kreis ausgewählter Experten um den Obersten Führer herum die Gesellschaft anführen. Gleichzeitig versteht sich der Staat als Bollwerk gegen westliche Einflüsse, die jegliches Gemeinschaftsleben schwächen. Dieser Staat geriert sich als Verteidiger aller Unterdrückten und von „westlicher Arroganz“ Betroffener.
Formell gesehen gibt es tatsächlich islamische und republikanische Elemente in der Staatsform. Diese werden jedoch leicht ausgehebelt durch eine Vielzahl neben den offiziellen Institutionen agierender Geheimdienste, die von jeglicher Strafverfolgung ausgenommen sind. Sie gelten als Hüter des Systems und können im Sinne der „nationalen Sicherheit“ Beschuldigungen vorbringen, die keinerlei Basis haben, aber auf Grund der Stellung dieser Geheimdienste im Staat als vertrauenswürdig und bindend betrachtet werden. So hat kein Beschuldigter eine Chance auf ein faires Verfahren, denn seine Sichtweise zählt nicht. Missbrauch sind hier Tür und Tor geöffnet.
Aus dem Islam werden vor allem repressive Elemente übernommen, die sich laut Islamwissenschaftlern nicht aus einem Koran gestützten Islam herauslesen lassen, sondern im Laufe der Jahrhunderte von willigen Geistlichen in die Herrschaftspraxis einiger Herrscher hineingedichtet wurden.
Wie zur Zierde wirken republikanische Elemente wie Parlament, Parteien und ein Paralleljustizsystem, die jedoch bei wichtigen Entscheidungen keine Rolle spielen.
Die Konstante in der Ausübung des Velayat-e faghi ist das Prinzip des Obersten Rechtsgelehrten, der in allen gesellschaftspolitischen Belangen das letzte Wort hat. Seit dem Tod von Ajatollah Chomeini übt der Kleriker Ali Chamenei das Amt aus. In diesem Übergang zeigte sich auch eine Schwäche des Prinzips von Velajat-e faghi. Chamenei hat ein Legitimationsproblem, da er bei weitem nicht die nötige Tiefe der Bildung erreicht hat und von vielen hochgestellten schiitischen Geistlichen eigentlich nicht in seiner Rolle akzeptiert wurde. Dadurch hat sich eine Machtverschiebung und auch eine Wandlung in der Ideologie ergeben. Chamenei paktiert mit den Revolutionsgarden, die sowohl die militärische als auch die wirtschaftliche Macht im Land erlangt haben, während die traditionelle schiitische Geistlichkeit mehr und mehr an den Rand gedrängt wurde.
Die Wandlung der Ideologie scheint an den meisten politischen Beobachtern vorbeigegangen zu sein. Während Chomeinis Eingriff in die eher quietistische Wesensart des Schiitetums aufgefallen ist, scheinen die Veränderung in der Zeit Chameneis vernachlässigt. Ajatollah Chomeini gerierte sich als Erwecker einer passiven und eher duldenden Religiosität.
Das traditionelle Schiitentum lebte im vollen Vertrauen auf Gott und hat jede gesellschaftliche Situation als von Gott gewollt angenommen. Man vertraute auf die Wiederkehr des verborgenen Imams, der Gerechtigkeit in die Welt bringen sollte. Chomeini fügte ein aktives Element ein. Er hob hervor, dass keiner wisse, wann der verborgene Messias zurückkehren würde und mahnte an, dass die Menschen auf der Erde solange der Messias noch nicht da sei, aktiv in das politische Geschehen eingreifen müssten.
Aus dem von Chamenei geschätzten Kreis staatlicher Kleriker kam die Weiterentwicklung der Staatsideologie hin zu noch mehr Aktivität. Man behauptete der verborgene Imam würde schneller herbeikommen und Gerechtigkeit auf die Erde bringen, wenn möglichst viel Chaos und Blutvergießen auf der Erde herrsche. Um seine Wiederkehr zu beschleunigen müsse man selbst dafür sorgen, dass Chaos und Blutvergießen gesteigert werden.
Diese Ideologie steht hinter allen staatlichen Angriffen auf Menschen, die sich nicht unter die staatliche Ideologie unterordnen, andere Weltanschauungen vertreten oder dem Regime bei der Umsetzung seiner Ziele im Weg sind.
Dass diese Ideologie nicht in Reinform praktiziert wird ist verschiedenen Dynamiken im Land und Rücksichten auf internationale Reaktionen geschuldet.
2. Angriffe des Regimes gegen Individuen und Gruppen, die als gefährlich gegen die Alleinstellung der Regime Ideologie eingeschätzt werden und daher ausgegrenzt, angegriffen und vernichtet werden.
Die sogenannte Islamische Republik Iran bedroht, verfolgt, verfehmt, vernichtet alle Gruppen und Individuen, die sich öffentlich gegen die offizielle Lesart von Islam stellen. Es liegen zahlreiche Beispiele vor, wie ein fester Kern von Ideologen hinter Chamenei kontinuierlich Individuen und Gruppen auf Grund ethnischer, religiöser, politischer oder ethischer Gründe von der Macht entfernt, von der Macht abgehalten oder unter Hausarrest gestellt, zu Gefängnisstrafen verurteilt oder getötet haben.
Ich erwähne hier nur einige wenige Namen, gehe aber nicht auf die Details ein. Großajatollah Montazeri als Mitstreiter von Chomeini und möglicher Nachfolger, Zarah Rahnavard, Mir Hossein Moussawi, Mehdi Karroubi als politische Gegner, Ajatollah Boroudscherdi als Vertreter eines traditionellen Schiitentums, Mohammad Kayvan Karimi, Amjad Salehi, and Omid Payvand als Sunniten, Mahvash Sabet als Baha’i, Javad Ahmadi als Yarsan, Yousef Nadachani als christlicher Konvertit. Die Liste ist natürlich viel länger. Das Regime operiert entweder mit dem Vorwurf einer Beleidigung von Heiligkeiten, des Islams oder islamischer Autoritäten oder der Gefährdung der nationalen Sicherheit.
Ich werde mich ausführlicher dazu äußern, wenn ich über die Verfolgung der Nematollah Gonabadi Sufis äußere, die eine besondere Rolle im Iran einnehmen.
Die Verfolgungen, Ausgrenzungen und Vernichtungen haben im Laufe der Jahre an Intensität zugenommen. Als Mohammad Chatami in den 90er Jahren zum Ende seiner Präsidentschaft gelangte, agierten die im Hintergrund die Fäden ziehenden Ideologen in Diensten Chameneis sichtbar brutal gegen Studenten, Literaten und Reform orientierte politische Gruppen. Die Kettenmorde an Intellektuellen wie z.B. das Ehepaar Forouhar erlangten traurige Berühmtheit und sind nicht in Gänze aufgeklärt, da diese Morde wohl von höchsten staatlichen Stellen angeordnet wurden. Mit der Präsidentschaft Mahmoud Ahmadinedschads zu Beginn der 2000er Jahre handelten die repressiven Kräfte zunehmend offener. Bücher, die sich mit Baha’itum, Sufitum oder anderen Weltanschauungen beschäftigten unterstellten diesen Gruppen im Auftrag ausländischer Mächte zu handeln, den Islam zu beschädigen und die Kultur in Iran zu verderben. Es begannen offene Angriffe durch paramilitärische Gruppierungen wie Hisbollah und Bassidschi auf Einrichtungen, auf Repräsentanten und Angehörige diverser religiöser Gruppen.
Insbesondere eskalierte die Gegnerschaft gegen die Sufis des Nematollah Gonabadi Ordens, dessen Angehörige in der Öffentlichkeit Unterstützung erfuhren und peinliche Nachfragen aus dem Ausland die Regierung in Iran unter Druck setzten.
3. Warum werden Sufis verfolgt?
Sufitum – ein Weg geistiger Schulung
Für spirituell gesinnte Menschen ist das Leben auf Erden ein Erfahrungsfeld, um seelische Reife zu erlangen. So auch für Sufis. Sie interessieren sich für das, was den Menschen in seinem Innersten zusammenhält und wie dieser Wesenskern mit seinen vielfältigen Potentialen zur bestmöglichen Entfaltung gebracht werden kann. Dadurch liegt es in der Natur der Sufi oder Derwisch genannten Menschen, Werte wie Toleranz, Frieden, Solidarität, Verantwortung und Selbstbestimmung zu leben.
Sufitum an sich hat mit Religion nichts zu tun. Dieser Schulungsweg ist älter als jede bekannte Religion. Sein Ziel ist tiefe und wahrhaftige Selbsterkenntnis, wodurch eine Begegnung mit der ursprünglichen Schöpferkraft erlangt werden kann.
Sufitum ist ein Kompendium verschiedener Methoden, die ein Mann oder eine Frau unter der Aufsicht eines erfahrenen Lehrers individuell nach bestimmten Folgen ausüben kann. Es werden sowohl Konzentrations- als auch Atemübungen praktiziert und notwendigerweise die kontinuierliche Überprüfung des eigenen Denkens, Fühlen und Handelns, sowie der eigenen Handlungsmotive. In gemeinsamen Veranstaltungen spielt oft die verbindende Kraft spiritueller Musik und poetischer Rezitationen eine wichtige Rolle.
Das Wort Sufi kam nach der Eroberung iranischer Gebiete durch die arabischen Heere auf. Davor galten dort die Klöster als Orte der Meditation und des Gebets gewisser Gottessucher, Gnostiker genannt. Nach dem Aufkommen des Islams und der Invasion jener Gebiete durch muslimische Armeen änderte sich die Bezeichnung dieser gnostischen Klöster in Sufi-Klöster. So kam es, dass Sufitum Teil der muslimischen Zivilisation wurde.
Es gibt viele verschiedene Sufi-Orden. Sie gehen zurück auf das Leben und Wirken der Heiligen wie Ali, Mohammed, die Apostel, Jesus, Johannes der Täufer und früherer spiritueller Lehrer. Es sind parallel arbeitende Schulen, die in früheren Zeiten ihre Ausbreitung von Bulgarien bis nach China fanden. In den letzten vierzig Jahren sind durch Flucht, Vertreibung und Auswanderung Zweige in Europa, Kanada, den USA und Australien entstanden.
In den letzten Jahrzehnten wurden unter anderem Oveissi, Ahl-e-hagh, Zahabi, die Anhänger von Dr. Nurbaksch, einem weiteren Nematollah Zweig, gezwungen das Land zu verlassen. Einer der bedeutendsten Orden, der im Iran noch starken Zulauf hat, ist der Nematollah Gonabadi Orden.
Die Stellung der Sufis im heutigen Iran
Die Anzahl der Sufi-Orden und der Sufis im Iran ist in keiner offiziellen Statistik erfasst. In manchen ländlich geprägten Regionen sind Vermischungen zwischen Sufitum und ethnischen Zugehörigkeiten entstanden, so dass ein Kind von Geburt an durch seine Familienzugehörigkeit Sufi ist. Vor allem in Städten wie Isfahan, Schiras, Täbris, Teheran jedoch, existieren Sufi-Orden wie Ahl-e-hagh, Zahabi oder Nematollahi. Einer der Zweige der Nematollahi heißt Gonabadi und besteht laut eigenen Statistiken aus 4 Millionen Menschen in ganz Iran.
Von Anbeginn der Revolution im Jahr 1979 haben die Hardliner unter den Revolutionären begonnen, gegen den guten Ruf der Sufis im Land und vor allem gegen den Gonabadi Orden zu agitieren. Seit jener Zeit sind die Gebetshäuser der Sufis im Iran Angriffen ausgesetzt und einige bedeutende Zentren sind mit Baggern zerstört und abgetragen worden. Die Sufis selbst, Frauen wie Männer, wurden verhaftet und verfolgt. Man kann von einer offenen, religiösen Apartheid gegen die Derwische sprechen, obwohl die Derwische Muslime sind und Teil der muslimischen Kultur. Ihre Rechte respektiert das Regime nicht.
Seit dem Jahr 2005 haben die Angriffe eine gewisse Regelmäßigkeit erlangt. Das Vorgehen der Angreifer wirkt gut durchgeplant. Im Februar 2006 lagen 40 Bücher vor, die allesamt dem Zweck dienten, Sufitum und Sufis zu verleumden und den Bassidschi unter der Führung der Pasdaran als Anlass galten, das große Gebetshaus der Nematollah Gonabadi Sufis in Qom anzugreifen und dem Erdboden gleich zu machen. 1.450 Derwische wurden an diesem Tag verhaftet und in das Sahedi Gefängnis der Pasdaran nahe Qom verbracht. Zwei Jahre (2008) später zerstörten dieselben Kräfte ein Gebetshaus der Sufis in Boroudscherd und 2009 zertrümmerten sie das Zentrum der Gonabadi Derwische in Isfahan. Schon 2007 wurde in Karadsch gegen Sufis agitiert.
Nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 begann eine neue Dimension der Auseinandersetzungen zwischen den Behörden und den Derwischen. Die Derwische hatten sich geschlossen hinter den Präsidentschaftskandidaten Mehdi Karoubi gestellt. Das nutzten die Behörden wiederum, um die Derwische als Unruhestifter (fitneh) zu beschuldigen und viele ins Exil oder ins Gefängnis zu schicken.
Im Februar 2018 kulminierten die Versuche des Regimes den Gonabadi Orden mit seinem Leiter Dr. Nour Ali Tabandeh unter Kontrolle zu bringen darin, dass Sicherheitskräfte das Haus von Tabandeh abriegelten und ihn unter Hausarrest stellten. Dabei gingen die Sicherheitskräfte mit brutaler Gewalt gegen Protestierende vor. Einige Derwische wie Mohammad Salas und Mohammad Radschi wurden durch das Regime getötet, viele wurden verletzt, zu Haftstrafen verurteilt oder in abgelegene Provinzen ins Exil geschickt.
Während Dr Tabandehs Hausarrest wurde er stark von der Außenwelt isoliert und seine Nachrichten an die Ordensmitglieder wurden durch Regime Agenten verfälscht weitergeleitet. Ein plötzlich einsetzender körperlicher Verfall des alten Mannes, der vorher laut ärztlicher Atteste gesund war, führte am 24.12.2019 zu seinem Tod.
Warum werden Sufis im Iran verfolgt?
Um die Gründe dieser regelmäßigen Zerstörungen und Verfolgungen zu verstehen, sollten wir die eigentliche Natur von religiösem Faschismus sehen.
Das Regime toleriert keine religiösen oder ethnischen Minderheiten, keine religiöse oder ethnische Pluralität im Iran. Das Regime strebt einen uniformen Iran an, in dem es keine abweichende Meinung geben darf – geschweige denn politische Vielfalt. Jeder Bürger soll sich der Führung Ali Chameneis beugen, nicht nur als gehorsamer Untertan, sondern als inbrünstiger Anhänger der Staatsideologie (Velayat-e-faghi = Herrschaft des Obersten religiösen Führers). In diesem Rahmen sollen alle Bürger als seine Sklaven leben und absolut gehorsam sein. In diesem faschistischen System ist kein Raum für andere Weltanschauungen, andere Meinungen oder andere Religionen.
Was das Regime in Iran am meisten fürchtet, ist ein Verlust der Legitimation seiner Staatsideologie, die Staatsführung und eine machtbasierte Interpretation von Islam verquickt.
4. Der Nematollah Gonabadi Orden und seine Stellung in der Gesellschaft.
Entstanden ist der Orden im 15. Jahrhundert durch das Wirken des weit über Hundert Jahre alt gewordenen Gelehrten und Musiker Schah Nematollah Vali. Er fand Anhänger für seinen spirituellen Weg in allen Bevölkerungsschichten. Die Werte, die er durch die spirituellen Übungen bei seinen Anhängern zu wecken hoffte, waren Selbsterkenntnis, Liebefähigkeit, Altruismus. Diese Werte und die Entwicklung unabhängiger Individuuen war der orthodoxen Geistlichkeit, die durch Autorität, Unterwürfigkeit und Gehorsam wirkte ein Dorn im Auge und es gab immer wieder Verfolgungen und Vertreibungen. Einige der Schüler von Schah Nematollah Vali führten seine Arbeit im indischen Exil fort und kehrten zur Zeit der Qadscharen (spätes 18. Jh) in den Iran zurück. Dort kamen sie durch ihr positives Wirken in der Bevölkerung zu hohem Ansehen. Man kümmerte sich um Kranke, Alte und Mittellose, baute Häuser für sie und verschaffte den Mittellosen Arbeit. Durch ihre Musik und ihre Zeremonien brachten sie Freude und Frieden in die Herzen der Menschen. Die Nematollah Sufis übernahmen später auch übergeordnete politische Verantwortung.
Als die Revolution 1979 ausbrach arbeiteten einige von ihnen an der Neuausrichtung des Staates. Sie wurden jedoch schnell von islamistischen Hisbollahis verdrängt und ausgebootet. Einer von diesen Sufis, die unter der Bazargan Regierung Verantwortung übernahm, war der Jurist Dr. Nour Ali Tabandeh. Er zog sich im Verlauf der stetigen Radikalisierungen aus dem Amt zurück.
5. Das Oberhaupt des Ordens Dr. Tabandeh und seine Abwehr gegen Vereinahmungsversuche seitens des Regimes.
Dr. Nour Ali Tabandeh hat seit dem mutmaßlichen Mord an seinem Vorgänger 1997 die Leitung des Nematollah Gonabadi Ordens übertragen bekommen. In stetig eskalierenden Konfliktstufen begannen schon um die Jahrtausendwende einige Kreise um den Obersten Führer Ali Chamenei unzählige Kampagnen und physische Attacken gegen Derwische und ihre Versammlungshäuser zu veranlassen.
Er betrachtete es als seine wichtigste Mission den Orden vor dem Zugriff und Missbrauch des Regimes zu schützen.
Einer der Hauptgründe für den Druck der Kreise um Chamenei auf die Sufis und vor allem auf den Nematollah Gonabadi Orden, liegt darin, dass der Oberste religiöse Führer im Land den Anspruch erhebt, politisches und spirituelles Oberhaupt aller Frauen und Männer in Iran zu sein. Diesem Anspruch haben sich die Derwische und Dr. Tabandeh nicht gebeugt. Sie sind für eine strikte Trennung zwischen Staat und Religion. Der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte stimmen sie vollumfänglich zu und pochen auf ihr Recht einen spirituellen Führer ihrer Wahl zu haben. Die Ideologen des Regimes lehnen die Charta als westliche Erfindung ab und betrachten sie als verderbt. Die Bevölkerung Irans behandeln die Anhänger Chameneis wie ihr Eigentum und verlangen absoluten Gehorsam und völlige Unterwerfung.
Derwische erkennen die Gesetze des Staates an, aber eine formelle Oberhoheit des noch nicht einmal in Kreisen der hohen Geistlichkeit Irans anerkannten Obersten Führer Ali Chamenei, lehnen sie aus guten Gründen ab. Sie wollen nicht in Verbindung gebracht werden mit einer politisierten Version des Islam, die dazu dient Hass, Chaos und Blutvergießen zu mehren.
Bei einer von Karamat e.V. organisierten Pressekonferenz in Berlin im Sommer 2018 protestierte die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi, Rechtsanwältin im britischen Exil, gegen das Vorgehen des Regimes in Iran und mahnte die deutschen Regierungsverantwortlichen sowohl öffentlich als auch in Hintergrundgesprächen im Auswärtigen Amt, dieses Unrecht nicht weiter zu dulden. Der in Frankreich lebende Vertreter des Nematollah Gonabadi Ordens im Ausland, Seyed Mostafa Azmayesh, verzichtete aufgrund mehrfacher Todesdrohungen aus dem Iran gegen seine Familie und ihn selbst auf eine physische Teilnahme an der Pressekonferenz. Er wies aber darauf hin, dass das Regime Agenten in den Orden eingeschleust hatte, die darauf hinwirkten, Tabandeh von den Mitgliedern des Ordens zu isolieren und danach trachteten, seinem Leben durch geringe Giftdosen ein unauffälliges allmähliches Ende zu setzen.
Nach einer erneuten Attacke gegen Gonabadi Derwische des Nematollah Ordens im Iran im Februar 2018 haben die Behörden Dr. Noor Ali Tabandeh, das geistige Oberhaupt (Qotb) des Ordens, von seinen engsten Mitarbeitern und Personenschützern isoliert. Diese hatten den 91-jährigen beschützt und seit den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Derwischen und Sicherheitskräften im Februar in Teheran für ihn gesorgt.
Es wurde eine Anordnung im Namen von Dr. Tabandeh veröffentlicht, die seinen Anhängern untersagte, ihn für die Neujahrsfeierlichkeiten in Teheran zu besuchen oder Zusammenkünfte abzuhalten. Diese Maßnahmen erfolgten nach dem Tod von Mohammad Radschi, einem der Derwische, der bei den jüngsten Angriffen der Sicherheitskräfte auf die Gonabadi Derwische getötet wurde. Er starb in Haft. Radschi war ein früheres Mitglied der Pasdaran (Revolutionsgarden) und galt als nationaler Held für seinen Einsatz im Iran-Irak Krieg.
Im Februar 2018 lag ein Haftbefehl gegen den 90-jährigen Dr. Tabandeh vor, dem man unterstellte, mit seiner säkularen Haltung Derwische gegen das Regime aufzuhetzen. In der Tat haben sich Derwische immer wieder gegen die Zerstörungen ihrer Versammlungshäuser gestellt oder haben friedlich gegen willkürliche Verhaftungen protestiert, während sie von staatlich bestellten Schlägertrupps angegriffen wurden. Um eine Verhaftung ihres greisen Oberhaupts zu verhindern, kamen Hunderte Derwische vor sein Haus und protestierten friedlich, bis verschiedene Polizei und Pasdaran Einheiten auf Frauen und Männer einschlugen, einstachen und 300 Derwische in Gewahrsam nahmen. Seither bis zu seinem Tod am 24.12.2020, stand Nour Ali Tabandeh unter Hausarrest, wie viele Dissidenten vor ihm.
6. Einsetzung eines vom Regime geführten irregulären neuen Oberhaupts. Orden im Chaos.
Üblicherweise bestimmt der Anführer des Ordens seinen Nachfolger selbst. Schriftlich und für alle nachvollziehbar. In Zeiten von Gefahr kann es vorkommen, dass er den Nachfolger nicht bestimmt, um ihn zu schützen, da Machtgruppen ihm nach dem Leben trachten würden. Es ist kein Schriftstück von Dr. Tabandeh bekannt, in dem er seinen Nachfolger benennt. Dafür haben Geheimdienstmitarbeiter des Regimes selbst ein Nachfolger eingesetzt, den sie gut lenken können. Alireza Jasbi ist weit über 90 Jahre alt und hat jetzt formell die Leitung des Ordens. Da die Vorgehensweise in der Nachfolgeregelung jedoch verdächtig und ungewöhnlich ist, haben nur wenige Mitglieder des Ordens ihre Treue ausgesprochen. Es herrscht weithin Chaos im Orden und es kursieren verschiedenste Versionen vom Tod Dr. Tabandehs, sowie der Ausrichtung des Ordens.
Einer der engsten Mitarbeiter und Schüler von Dr. Tabandeh lebt seit 1975 im Pariser Exil. Dr. Seyed Mostafa Azmayesh hat dort Jura und Islamwissenschaften beim berühmten Prof. Henri Corbin studiert. Als die Angriffe gegen die Derwische im Iran zunahmen, betraute Dr. Tabandeh Azmayesh damit die Belange des Ordens im Ausland zu vertreten. Er legitimierte ihn unabhängig von Zeiten und Orten Schüler zu unterweisen und das Regime am Missbrauch des Ordens und der Sufi Kultur zu hindern.
7. Die Rolle von Dr. Seyed Mostafa Azmayesh aus Paris bei der Verteidigung des Ordens und wie wir aus dem Westen heraus helfen könnten.
Das Regime schreckt auch nicht vor Bedrohungen von im Ausland lebenden Dissidenten zurück. Der von Tabandeh mit der Vertretung der Anliegen des Gonabadi Ordens im Ausland beauftragte Religionswissenschaftler und Jurist Dr. Seyed Mostafa Azmayesh, wird immer wieder mit dem Tod bedroht. Azmayesh hat über Jahre hinweg die Verfolgung verschiedenster Minderheiten in internationalen Gremien wie dem UN-Menschenrechtsausschuss, dem EU-Parlament und vor nationalen Gremien zur Sprache gebracht. Das Regime betrachtet die Veröffentlichungen von Details seiner Vorgehensweise gegen ungeliebte Gruppen und Individuen als feindlichen Akt, denn es möchte als moralisch sauber und höherwertig in der Welt wahrgenommen werden.
Azmayesh setzt hier immer wieder Akzente, die dem Regime weh tun. As er im Jahr 2008 über die Steinigung als anti-islamischem Prinzip referierte, griffen hohe Würdenträger im Iran seine Argumente auf, was letztlich dazu führte, dass die Steinigung aus dem Strafen Katalog der Justiz entfernt wurde. Zuletzt zeigte Azmayesh in einem Video Beitrag auf, warum die im Iran vom Regime verordnete Zwangsverschleierung gegen koranische Prinzipien verstößt und handelte sich gleich eine Todesdrohung ein.
Sufis widerstrebt es Gewalt anzuwenden. Sie erwehren sich der brutalen und unrechtmäßigen Angriffe mit friedlichen Mitteln. Sie setzen sich aus Gründen der Solidarität uneigennützig für die Rechte anderer ein. Sie übernehmen Verantwortung dafür, sich selbst zu helfen. Doch brauchen sie auch die Unterstützung westlicher Politik – wenigstens aber die Möglichkeit die Öffentlichkeit über die Strategien, Pläne und Vorgehensweisen des Regimes in Iran zu informieren.
Um seine Arbeit auf breitere Füße zu stellen hat er mit weiteren iranischen Dissidenten und aus dem Westen stammenden Menschen die Organisation International Organisation to Preserve Human Rights (IOPHR) gegründet. Sowohl Dr. Azmayesh selbst auch weitere Mitglieder sehen sich immer wieder mit Todesdrohungen konfrontiert. Zahlreiche Morde durch Agenten des Regimes auch im Westen belegen den Ernst dieser Drohungen.
Leider scheint man sowohl in der vergangenen als auch in der gegenwärtigen Regierung der BRD wenig Interesse an einer Unterstützung für die Zivilgesellschaft in Iran zu haben. Ab und an wagt man sich aus der Deckung, wenn die Angriffe des Regimes auf Andersdenkende zu heftig werden, doch grundsätzlich ist zu wenig Unterstützung spürbar. Auch Asylfälle geflohener Sufis aus dem Iran, werden unverständlicherweise negativ beschieden, obwohl die Bedrohung des Lebens dieser unterdrückten Menschen auf der Hand liegt.
Wie könnte eine echte Hilfe aussehen? Menschenrechtsorganisationen werden nicht müde auf Einzelfälle hinzuweisen, auch hat die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Kofler, mehrfach Pressemitteilungen zu den Verfolgungen herausgegeben, doch die große politische Linie in Bezug auf Iran ist lahm. Insofern könnte die wirksamste Hilfe darin bestehen, weiterhin Einzelfälle und die Hintergründe dazu zu bearbeiten, sowie viele Möglichkeiten schaffen, dass Betroffene über die Situation erzählen, bis sich auch im akademischen und großmedialen Umfeld jemand findet, der oder die den Fall der Nematollah Gonabadi Sufis in weiter Verbreitung darstellt.
Helmut N. Gabel