Iran – Es braucht Entschlossenheit im Umgang mit dem Regime

Prinz Reza Pahlavi, Vahid Beheshti, Shirin Ebadi, Mattie Heaven

Interview mit Vahid Beheshti, London, im Hungerstreik seit 23.02.23 vor dem Britischen Außenministerium (Foreign, Commonwealth & Development Office). Er fordert die Listung der Iranischen Revolutionsgarden als Terrororganisation. Montag, 6. März 2023. Auf twitter (@Vahid_Beheshti) sehen bis zu 250.000 Personen seine Beiträge zu seiner Forderung, die er täglich erneuert.

Das Regime in Iran ist seit 44 Jahren für Brutalität, Unterdrückung und Ausschluss seiner eigenen Bevölkerung, sowie Täuschung und Erpressung westlicher Länder berüchtigt. Eines der Hauptorgane des Regimes in Iran, um seine missionarische Politik im Inland und im Ausland durchzusetzen sind die Revolutionsgarden (IRGC), einem riesigen militärisch-wirtschaftlich agierenden Konglomerat, das dem Obersten Führer Ali Chamenei zu Diensten steht. Vahid Beheshti arbeitet schon zwanzig Jahre daran, Ereignisse aus dem Iran im Westen bekannt zu machen und auf die Gefahren durch das Regime, sowohl für Menschen in Iran als auch für den Westen aufmerksam zu machen. Anfang Februar musste die Polizei in London vor Drohungen des Regimes im Iran kapitulieren und bat den iranischen Exilsender „Iran International“ sein Studio in die USA zu verlegen, weil man keine Sicherheit für die Mitarbeitenden gewähren kann. Das war für Vahid Beheshti ein weiterer Baustein, um zu verstehen, dass nicht nur die Menschen in Iran in Gefahr sind, aber auch mitten in London. Jetzt hat er sich zu einer radikalen Aktion entschloßen, er harrt mittlerweile schon 22 Tage vor dem Britischen Außenministrium in einem kleinen Zelt aus, trinkt nur Wasser und Tee und verzichtet auf feste Nahrung.

Vahid Beheshti am 9. Tag seines Hungerstreiks

Helmut Gabel: Warum sind Sie in einen Hungerstreik getreten Herr Beheshti?

Vahid Beheshti: Der Grund für meinen Hungerstreik ist eine einfache Forderung. Ich verlange von der Britischen Regierung, die Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) auf die Terrorliste zu setzen.

HG: Welche Reaktionen gab es bisher auf Ihren Hungerstreik?

VB: Heute ist mein 12. Tag im Hungerstreik. Bislang habe ich von der Britischen Regierung keinerlei Reaktionen erfahren. Es sind aber seit dem 1. Tag viele aus dem Iran stammende Personen hier vorbei gekommen, um mit mir zu sprechen und mir ihre Unterstützung zuzusichern. Aber auch Menschen aus England oder Schottland sind hier vorbei gekommen und haben meiner Forderung zugestimmt, da sie das Treiben der IRGC kennen. Manche fragen mich, warum ich einen solch radikalen Weg gewählt habe. Ich schildere dann, wie wir alle möglichen Wege bereits versucht haben auf die Gefahren hinzuweisen und die Listung zu erreichen und wie mir jetzt keine andere Lösung mehr eingefallen ist, insbesondere da die Zeit drängt.

Frauenrechtlerin Shiva Mahbobi besucht Vahid Beheshti am 22. Tag seines Hungerstreiks

Besuch von Prinz Reza Pahlavi und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi

Am 5. Tag meines Hungerstreiks hatte ich Besuch von Reza Pahlavi, dem ältesten Sohn des verstorbenen Monarchen, der Termine mit britischen Politikern in London hatte. Er lebt in den USA und ist derzeit auf Tour durch Europa, um für Unterstützung für die Menschen in Iran zu werben. Er kam aus Frankreich in Begleitung der Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Sie sicherten mir ihre Unterstützung zu und baten mich den Hungerstreik einzustellen, doch ich warb um Verständnis, diese Aktion fortzuführen, bis das erwünschte Ziel erreicht ist. Sie verbrachten eine halbe Stunde mit mir, bevor sie ihrer Wege gingen. Danach haben mich noch mehr Menschen, die aus dem Iran stammen besucht, um mir ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Es sind auch Leute aus den Niederlanden und Deutschland hier vorbei gekommen.

HG: Was lässt Sie annehmen, dass die Britische Regierung Ihrer Forderung nachkommen wird?

VB: Zunächst will ich klar stellen, dass meine Forderung nicht nur meine eigene Forderung ist, es ist eine Forderung vieler Menschen, sogar vieler britischer Politiker. Die Mehrheit der Parlamentarier stimmen parteiübergreifend dieser Forderung zu. Die meisten Minister stimmen zu, Innenministerin Suella Bravermann, Tom Tugendhat, Staatssekretär im Innenministerium zuständig für Sicherheit. Sogar der Außenminister James Cleverly ist nicht gegen eine Listung der IRGC als Terrororganisation. Rishi Sunak twitterte diese Forderung noch vor seiner Ernennung zum Premierminister. Im Prinzip stimmen meines Wissens nach alle britischen Politiker in diesem Punkt überein. Es war also in Großbritannien alles bereit für diesen großen Schritt an einem wegweisenden Zeitpunkt der Geschichte. Doch plötzlich hat sich etwas verändert. Der Vorgang wurde gebremst. Wir haben uns erkundigt und recherchiert, was die Listung verhindert hat und sind darauf gestoßen, dass die Bremsspur ins Britische Außenministerium führt.

Das war der Moment in dem ich entschieden habe, mein Zelt vor dem Außenministerium aufzustellen und in einen Hugerstreik einzutreten, um der Sache wieder Auftrieb zu geben. Ich denke, es braucht nochmals einen Anlauf hier in Großbritannien, um die Sache voran zu bringen. Ich denke, es wird letztlich passieren.

Besuch am 8. Tag von Nariman Gharib, einem IT Sicherheitsexperten

HG: Das Deutsche Außenministerium begründet seine Ablehnung einer Listung unter anderem damit, Kommunikationskanäle offen halten zu wollen. Halten Sie das für eine berechtigte Begründung?

VB: Absolut nicht. Wozu sollte man Kanäle zu einer Terrororganisation offen halten? Wozu sollte man an einem Tisch mit Mördern sitzen? Das ist problematisch! Hier verlieren wir die Würde in der Politik. Es widerspricht den Vorschriften und Verhandlungsordnungen sämtlicher 27 EU-Staaten mit terroristischen Organisationen an einem Tisch zu sitzen. Man sollte mit Terrororganisationen nicht verhandeln. Man verstößt gegen die eigenen Regeln.

Es liegen unzählige internationale Beweise für die terroristischen Aktivitäten der Revolutionsgarden vor. Der Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs mit zwei Raketen, war nachweislich ein absichtvoller Angriff der Revolutionsgarden, der 176 Opfer gefordert hat. 1994 zerbombten sie das jüdische Zentrum in Buenos Aires. 85 Menschen starben, mehr als 300 waren verletzt. Heute liefern die Revolutionsgarden Drohnen an Russland, um Ukrainer zu töten. Mitten in London werden Mitarbeiter der Iran International Studios von Agenten des Regimes bedroht, so dass die Studios vorübergehend in die USA verlegt werden. Hossein Salâmi, Kopf der Revolutionsgarden, hat sich offiziell damit gebrüstet diesen Schritt bewirkt zu haben. Erst neulich hat der Kommandant der Luft- und Raumfahrtdivision der iranischen Revolutionsgarden (IRGC), Brigadegeneral Amirali Hadschizadeh, öffentlich seinen Wunsch ausgesprochen Donald Trump, Mike Pompeo und General McKenzie zu töten. Diese öffentlichen Ankündigungen zeigen ihre terroristischen Absichten. Es gibt mehr als ausreichend viele Beweise, die sie als terroristische Organisation zeigen. Dadurch ist es gegen alle Gesetze der Europäer, die Kommunikationskanäle für Terroristen offen halten zu wollen. Deshalb stimmen ich dieser Aussage keinesfalls zu.

Besuch am 22. Tag von Lord Ian Austin, einem ehemaligen Labour Abegeordneten

HG: Angenommen die Politik entschliesst sich diese Forderung umzusetzen, was konkret kann für die Menschen in Iran und der Welt dadurch erreicht werden?

VB: Damit könnte vieles erreicht werden. Wenn also die Revolutionsgarden als Terrororganisation gelistet werden – wer führt die Revolutionsgarden? Herr Salâmi. Wer hat ihn ernannt? Ali Châmenei. Von wem erhält Herr Salâmi seine Anweisungen? Von Herrn Châmenei. Dadurch ist Châmenei natürlicherweise auch auf der Terrorliste und fällt unter das Sanktionsregime. Durch die Listung von Châmenei kann das Regime nicht mehr als ordentlicher Staat betrachtet werden, es bekommt den Status von al-Kaida oder des Islamischen Staates (ISIS/DAESH). In diesem Fall kann kein EU Land mehr mit diesen Terroristen verhandeln. Und sie wissen wie wichtig das wäre. Das hält sie vor einer Listung zurück. Aber es ist in diesem historischen Moment wichtig, da das Regime in Iran die Welt zur Geisel genommen hat. Das Regime nimmt regelmäßig Touristen als Geiseln und verlangt vom jeweiligen Heimatland immer wieder hohe Gegenleistungen für deren Freilassung. Wie kann man überhaupt Beziehungen zu solch einem terroristischen Haufen, der das Land Iran seit 44 Jahren besetzt hält, unterhalten? Daher engagieren sich so viele gegen dieses Regime und fordern mit mir zusammen die Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation.

Besuch am 21. Tag von der iranisch-amerikanischen Künstlerin Nasim Pedrad

HG: Sind Sie Teil einer Organisation, die ihre Aktion unterstützt?

VB: Diese Aktion ist meine individuelle Entscheidung und es gibt keine Organisation im Hintergrund. Generell arbeite ich journalistisch als Haupt des Kanals DorrTVnews in persischer Sprache.

Gefahr für die ganze Welt

HG: Warum denken Sie, sollten europäische, britische oder amerikanische Bürgerinnen und Bürger oder Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) Ihre Aktion unterstützen?

VB: Ganz gleich, ob Menschenrechtsorganisationen oder Bürgerinnen und Bürger, die sich für Freiheit und Menschenrechte einsetzen, sollten diese Aktion unterstützen, denn die Revolutionsgarden agieren nicht nur im Iran oder im Mittleren Osten. Ihr Wirkungsgrad reicht nach Europa, Kanada, USA, Australien, überallhin. Während wir sprechen, sterben Menschen in der Ukraine durch Drohnen der Revolutionsgarden. In den letzten 44 Jahren haben die Revolutionsgarden mehr als 540 Morde außerhalb Irans angewiesen oder durchgeführt. Die Revolutionsgarden sind eine Terrororganisation, eine Anti-Menschlichkeits-Organisation. Sie sind eine Gefahr für die ganze Menschheit. Deshalb lade ich alle Organisationen, die sich dem Schutz der Menschlichkeit und der Menschenrechte verschrieben haben, ein, diese Aktion zu unterstützen.

Azamat Azhdari hat ihre Schwester durch den Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeugs verloren. Sie besucht den Hungerstreikenden am 8. Tag.

HG: Wie kann man dieses Anliegen konkret unterstützen?

VB: In diesem Moment besteht die beste Unterstützung darin, diese Forderung weit und breit in öffentlichen Medien zu besprechen. Öffentlich diskutierte Themen haben eine enorme Bedeutung für Politiker im Westen im Gegensatz zu Iran, wo der öffentlichen Meinung keinerlei Wert beigemessen wird. Wenn also der öffentliche Druck auf die Politik im Westen, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu setzen, wirkt, werden sie diesen Schritt viel eher vollziehen und dem Appeasement dem Regime gegenüber ein Ende setzen. Das Regime in Iran versteht nur eine Sprache: Druck und entschiedene Handlungen. Das kann ich aus meiner 40-jährigen Erfahrung mit diesem Regime so sagen.

HG: Was sind die größten Hindernisse, um die Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu setzen und welche Hindernisse sehen Sie, die Menschen in Iran in Ihrem Kampf gegen das gesamte tyrannische System zu unterstützen?

VB: Ich glaube der Hauptpunkt ist, dass der Westen das Regime in Iran nicht wirklich versteht. Immer noch nicht. Sie haben keine Ahnung davon, wie verwickelt und kompliziert dieses Regime arbeitet und man hat auch noch nicht die Mission dieses Regimes verstanden. Gleichzeitig ist man überzeugt mit einer Appeasement-Politik etwas zu erreichen. Unglücklicherweise führt das aber zu einer zunehmenden Verschlimmerung. Man baut auf Verhandlungen in Bezug auf die nuklearen Aktivitäten des Regimes und hofft diese Aktivitäten einschränken zu können. Das ist eine komplette Täuschung durch einen irreführenden Denkansatz. Damit machen wir uns im Westen etwas vor. Seit im Jahr 2002 die nuklearen Aktivitäten des Regimes enthüllt wurden, gabe es vier Vereinbarungen bis 2015, der letzte ist der JCPOA. Warum gab es 4 Vereinbarungen? Weil die iranische Seite diese Vereinbarungen stets gebrochen haben. Das Regime respektiert keine Vereinbarungen mit dem Westen. Sie verschaffen sich nur andauernd Zeit, um ihr Ziel einer Atombombe zu erreichen. Sie sind diesem Ziel stetig näher gekommen. Das größte Hindernis ist also die falsche Einschätzung des Regimes und seiner komplexen Arbeitsweisen über 44 Jahre und das Setzen auf Gespräche, Verhandlungen und Vereinbarungen, in der Hoffnung auf Veränderungen oder Reformen des Regimes. Das ist eine große Täuschung, eine Illusion!

Wir bitten den Westen nicht, den Menschen in Iran zu helfen, wir bitten den Westen sich selbst zu helfen, weil der Wirkungsgrad der Revolutionsgarden bis in den Westen reicht. Sie sitzen in den Islamischen Zentren, wo sie die Jugend radikalisieren. Die Arme dieser Terroristen reichen heute mitten nach London hinein. Und was erschreckend ist, ist das aktuell die britische Polizei den Exilsender „Iran International“ gebeten hat, sein Studio auszulagern, da man die Sicherheit der Mitarbeiter nicht garantieren kann. Der Westen sollte sich zuerst selbst helfen. Der erste Schritt dazu wäre die Listung der Revolutionsgarden auf die Terrorliste.

HG: Wo könnten sich denn westliche Politiker und ihre Berater über tiefergehende Hintergründe zum Regime in Iran informieren?

VB: Wir haben eine Unzahl von iranischen Oppositionsgruppen. Diese Menschen muss man fragen. Da ist zum Beispiel die Internationale Organisation zum Schutz der Menschenrechte (IOPHR), da ist Amnesty International, Centre for Human Rights in Iran und viele viele mehr. Hier kann man sich erkundigen.

HG: Denken Sie, es gibt einen konkreten Grund, warum diese Informationen nicht berücksichtigt werden?

VB: Ich glaube nicht, dass es klar definierte Gründe dafür gibt. Meiner Ansicht nach sind Menschen, die heutzutage Politik machen, einfach keine Fachleute. Darum werde ich sie auch nicht beschuldigen. Es ist halt einfach so, dass dieses Regime unendlich komplex arbeitet und man die Mechanismen durchschauen lernen muss. Man kann nicht gewohnte Vorgehensweisen anwenden, die im Umgang mit anderen Ländern funktionieren mögen. Das ist das Problem vor dem wir stehen.

Der persönliche Preis

HG: Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Hungerstreik nicht zu gesundheitlichen Schäden führt?

VB: Das kann ich nicht ausschließen! Das ist der Preis, den ich bereit bin zu bezahlen, um das Ziel zu erreichen. Ich stamme aus dem Iran. Ich kenne den Wert von Freiheit und Demokratie. Vielleicht haben diese Werte für Menschen, die im Umfeld von Freiheit und Demokratie geboren und aufgewachsen sind, nicht ganz den gleichen Stellenwert wie für mich, der lange Jahre dieser Rechte beraubt wurde. Diese Rechte sind uns eigentlich von Geburt an zu Eigen, niemand hat sie uns gegeben und niemand sollte das Recht haben, sie uns zu verwehren. Für die Verteidigung und den Schutz dieser Werte wie der freien Meinungsäußerung und der Freiheit zum Denken, bin ich bereit jeglichen Preis zu bezahlen. Das ist das Prinzip, das mich motiviert auch diese Aktion durchzuführen, es lässt mich Verantwortung übernehmen, diese Werte hochzuhalten. Heute sehe ich die langen Arme der Revolutionsgarden im Westen, in London, deshalb steht mein kleines Zelt vor dem Außenministerium, deshalb setze ich mich hier dafür ein sie auf die Terrorliste zu setzen.

© Helmut N. Gabel, mehriran.de

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