mehriran.de – Anlässlich einer Pressekonferenz und einem Fachgespräch am Donnerstag, 30.08.2018, in der Landesvertretung Niedersachsens beim Bund in Berlin sprachen die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi und weitere Referenten zu den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen im Iran und dem Handeln von Regime Kräften abseits des iranischen Gesetzes. Im Folgenden fokussiert sich dieses Hintergrundpapier darauf, warum Andersgläubige im Iran systematisch verfolgt werden und welche Relevanz darin für Europa liegt.
Die Gesellschaft Irans hat ihr Gesicht in den letzten Jahrzehnten sehr stark verändert. Armut, Not, Elend und Gewalt durchdringen den Alltag vieler Bürgerinnen und Bürger. Die staatlichen Zwangs- und Repressionsmaßnahmen gegen Kritiker und Andersdenkende werden immer raffinierter und brutaler zugleich. Das steht in sehr starkem Gegensatz zu der Kraft der Poesie und den Werten eines Lebens in Ritterlichkeit, welche in der Jahrhunderte alten Kultur Irans tief verankert war.
Um es mit den Worten des persischen Dichters Hafis zu sagen:
„Diese Luft erinnert an des Paradieses Hauch, die mich vom Garten umfächelt,
Hier freu ich mich des Weines auch, wo der Liebsten Auge samten lächelt.“
Die Menschen des Iran und ihre Abstammung, die verschiedenen Sprachen, die unterschiedlichen Landschaften, Kulturen und Religionen gleichen einem bunt gewobenen Teppich kultureller Vielfalt. Die großzügige Gastfreundschaft der Menschen, Zeugnisse lebendiger Architektur oder die geschichtsträchtigen Felsinschriften und natürlich die berührenden Gedichte der Mystiker wie Rumi, Hafis oder Sa’adi erinnern auch heute an den kulturellen Reichtum.
Knapp die Hälfte der rund 80 Millionen Einwohner des Iran sind Perser. Diese sind laut offiziellen Statistiken fast ausnahmslos schiitische Moslems, ihre Sprache ist Staatssprache. Als Nicht-Schiiten leben im Land christliche Armenier und Assyrer, Bahá’í, Juden, Mandäer, Sunniten und Zoroastrier sowie Nicht-Perser wie Ahwazi, Aseri, Belutschen, Kurden und Turkmenen sowie andere ethnische und religiöse Gemeinschaften.[1]
Grausamkeiten sind an der Tagesordnung
All diese Nicht-Schiiten werden diskriminiert, unterdrückt und verfolgt. – Kaum ein anderes Land der Erde wird hinsichtlich Menschenrechtsverletzungen so oft von der UNO kritisiert wie der Iran – und das bereits seit der Gründung der Islamischen Republik Iran im Jahr 1979, also seit bereits 39 Jahren.
Leider nehmen die Grausamkeiten weiter zu. Hierzu gehören illegale Festnahmen ohne Beweise, Entführungen von Menschen, unmenschlich lange Einzelhaft, körperliche und seelische Folter und Tötung unter Folter, Diskriminierung, rechtswidrige Gerichtsverfahren, Verhinderung der Selbstverteidigung durch Unterbinden der Kontaktaufnahme zu einem Anwalt (dieser erscheint jedoch formal in der Akte), Verhinderung medizinischer Versorgung, Bedrohung und Misshandlung von Familienangehörigen der Inhaftierten, Vergewaltigung, unter Gewalt erpresste vordiktierte Aussagen als Beweismittel gegen Angeklagte, Abhören von Telefonaten und Spionage und Ermordung von Oppositionellen im In- und im Ausland, wüste Drohungen bei jeglicher Kontaktaufnahme zu Medien, sowie Veröffentlichung falscher Nachrichten über Gefangene.
Mehr als 90% der politischen Gefangenen sind ohne Beweismittel inhaftiert. Sie werden unter Folter gezwungen gegen sich selbst auszusagen. Gemäß Artikel171 des Strafgesetzes der islamischen Republik Iran ist das Geständnis eines Angeklagten gültig „wenn [dieser] das Verbrechen gesteht und [es] zugibt. [In diesem Fall] sind keine anderen Beweise mehr erforderlich. Verstärkt wird dies durch Artikel 172, indem „bei allen Verbrechen […] ein einmaliges Geständnis gültig [ist]“; und gemäß Artikel 173 können auch Widerruf und Ablehnung nach einem Geständnis das Gesagte nicht aufheben.
Diese Gesetzeslage führt dazu, dass Gefangene gepeinigt und gefoltert werden, um ein solches Geständnis zu erzwingen. Ist dieses aus der Not heraus geäußert, so wird die Wahrheit irrelevant. Nach einem erzwungenen Geständnis fragt auch kein Richter des Revolutionsgerichts mehr nach Beweismitteln oder Dokumenten.[2]
Ein Regime der Unmenschlichkeit und Unterdrückung
Das Regime im Iran eliminiert mit den genannten Methoden gewaltsam Andersdenkende. Dies betrifft nicht nur politische Gruppierungen, die die Regierung stürzen wollen, sondern vielmehr friedvolle Menschen und ethnische Gruppen oder religiöse Gruppierungen wie Sufis oder Bahá‘i, die gewaltfrei für ihre Rechte oder die Wahrung von Menschenrechten einstehen.
Es gibt unzählige Andersdenkende, die verfolgt und gequält und gepeinigt werden, insbesondere Leitfiguren wie das religiöse Oberhaupt des Gonabadi-Sufi-Ordens Dr. Hadsch Nuur Ali Tabandeh, führende Persönlichkeiten der Bahá’i oder auch Mohammad Ali Taheri. Letzterer ist der Gründer der spirituellen Lehre von „Erfan e Halgheh (Keyhani)“ und zweier alternativer Heilmethoden. Er ist damit auch eine Integrationsfigur für Tausende seiner Anhänger. Vorgeworfen werden ihm «Beleidigung des Heiligen» und „Förderung von Verdorbenheit auf Erden“, was ihn als „sicherheitsgefährdende Person“ klassifiziert und damit das Regime legitimiert, ihn mit allen Mitteln zu eliminieren. So wurde er vom Geheimdienst der Revolutionsgarden (Sepahe Pasdaran Enghelab) mehrfach festgenommen, bedroht und gefoltert. Auch seine Familie wurde bedroht. Er versuchte vier Mal vergeblich, sich das Leben zu nehmen, um seine Familie vor der Bedrohung zu bewahren und auch einem durch Gewalt erzwungenen Lügengeständnis zu entgehen. Schließlich wurde er dann zu einer fünfjährigen Haftstrafe in Isolationshaft verurteilt. Obwohl Mohammad Ali Taheri diese im Februar 2016 abgeleistet hatte, ließ man ihn nicht frei und hielt ihn weiterhin in Isolationshaft. Diese ist gemäß des Artikels 14(7) des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR ) strafbar, da „niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des jeweiligen Landes rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, erneut verfolgt oder bestraft werden darf.“ Im Fall von Mohammad Ali Taheri geschah dies mehrfach und das, obwohl der Iran Vertragsstaat des IPbpR ist. Auch verstößt die lange Isolationshaft gegen die Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangengen (Nelson-Mandela-Regeln), dennoch blieb der Fall Mohammad Ali Taheri ohne Konsequenz für das Regime. Vielmehr verbreiten die Revolutionsgarden (Sepahe Pasdarane Enghelab) der Islamischen Republik Iran und Sicherheitsbeamte Verleumdungen über das staatliche iranische Fernsehen und diverse Medien, mit dem Ziel, die Gedanken der Bevölkerung gegen Mohammad Ali Taheri und andere friedliche Führer zu richten. Damit sollenalle Anhänger davon abgehalten werden, sich für die Freilassung ihrer Lehrer einzusetzen. Darüber hinaus werden diese auch ausspioniert und durchsucht oder verfolgt. Die Menschen bleiben im Geheimen oder verlassen notgedrungen das Land. Man kann von einer Apartheit gegen Bahá’i und Derwische sprechen. Ihre Rechte werden vom Regime missachtet. Zumeist wird ihnen auch der Zugang zu Universitäten verwehrt, sowie ihre sozialen Einrichtungen wie Krankenhäuser, Altenheime und Schulen geschlossen. Ihre Heiligen Stätten und Friedhöfe werden geschändet, zerstört, enteignet oder im Sinne der Islamischen Revolution verwendet.[3]
Den sogenannten politischen Gefangen wird systematisch der Rechtsbeistand verweigert. So wurden in diesem Jahr von 20,000 Mitgliedern der Anwaltskammer in Teheran durch die Justiz nur 20 Anwälte als Verteidiger zugelassen. Anwälte, die für Rechte und Menschenrechte einstehen, werden selbst bedroht.
Steigende Unzufriedenheit in der Bevölkerung
29 Millionen (von 80 Mio.) Menschen im Iran leiden unter der Unterdrückung des korrupten Mullah Regimes. Die Liste der Nöte im Land ist groß, die Maßnahmen der Offiziellen das allgegenwärtige Leid aufzufangen, gering.
Beispielsweise starben bei einem Erdbeben in einer von Kurden bewohnten Provinz im November 2017 über 300 Menschen. Der in militärischen Angelegenheiten sehr gut aufgestellte Staat schaffte es jedochtrotz Präsident Rohanis Versprechungen nicht, angemessene Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Die kann man als Zeichen dafür sehen, wie begrenzt die Möglichkeiten des Präsidenten Rohani sind. Eigentlich wurde er vor allem von der bürgerlichen Mittelschicht in den Städten gewählt, um das Land aus der Misere zu führen.
Seit ungefähr zwei Jahren finden im Iran regelmäßig Proteste von Arbeitern gegen Arbeitsplatzabbau, Werksschließungen und Zahlungen ausstehender Löhne statt. Krankenschwestern, Lehrer oder Busfahrer bringen mit großer Ausdauer ihre Anliegen in den Straßen vor. Sie lassen sich vertreiben, schlagen, inhaftieren, aber kommen wieder zusammen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Einen weiteren Anlass für Unruhen botder Skandal um die sogenannten Mālbāchtegān, die Geldverlierer. Viele Iraner hatten dem Versprechen einiger von der Iranischen Zentralbank gestützten Institute auf bis zu 25% Gewinn vertraut. Sie verloren ihre Einsätze komplett. Proteste gegen das Zustandekommen dieser Verluste wurden zerschlagen, Protestierende inhaftiert.
All diese Umstände veranlassten in den letzten Dezembertagen des Jahres 2017 die Verzweifelten in den Provinzstädten auf die Straße zu gehen, wo nicht nur die ökonomischen Bedingungen kritisiert, sondern beträchtlich viele Rufe für ein Ende des Regimes und dem Ende des Obersten Führers laut wurden – in Anbetracht der zu erwartendenGewalt ist dies ein Zeichen großer Verzweiflung.
Die Proteste zogen sich länger als eine Woche hin. Sie ebbten ab, als die Sicherheitskräfte zahlenmäßig deutlich überlegen auftraten und das Regime einen Gegen-Demonstrationszug mit seinen engsten Anhängern organisieren konnte. Im Zuge der Unruhen sollen zwischen 23 und 50 Menschen getötet worden sein. Um die 3000 Personen wurden inhaftiert, das Schicksal der meisten ist ungewiss. Laut Behörden im Iran waren bei den Unruhen 90% der verhafteten Menschen unter 25 Jahren und viele davon noch nicht 18 Jahre alt. Sie verständigten sich über die neuen Medien.[4]
In der heiligen Stadt Maschhad steht der Imam-Reza-Schrein, eines der größten schiitischen Heiligtümer. Vor dem Rathaus der Pilgerstadt versammelten sich am 28. Dezember 2017 mehrere hundert Menschen und protestierten gegen die miserablen wirtschaftlichen Bedingungen. Zunächst wandten sich die Sprechchöre gegen den Präsidenten Rohani, zwei Stunden später waren Parolen gegen den Obersten Führer Chamenei und das gesamte Regime zu vernehmen. Eine weitere Stunde später gingen in fünfzig weiteren Provinzstädten Menschen auf die Straßen. Schnell beschuldigte das Regime die üblichen Verdächtigen.
Der Vertreter des Obersten Führers in dieser Provinz, Ahmad Alamolhoda, soll die Demonstration veranlasst haben. Alamolhoda ist der Schwiegervater von Ebrahim Raisi, Direktor einer schwerreichen religiösen Stiftung.
Im Gegensatz zu der Hetze der Fundamentalisten vertritt Rohani gegenüber den Unruhen eine integrative Position. So wird er bei einem Treffen mit Vertretern des Wirtschafts- und Finanzministeriums mit folgenden Worten zitiert:
„Manche glauben, die Demonstranten würden nur für mehr Geld und bessere wirtschaftliche Bedingungen auf die Straße gehen. Kennen Sie jemanden, der sich mit einem monatlichen Gehalt zufriedengibt, wenn gleichzeitig soziale Medien komplett abgeschaltet sind, die räumliche Bewegungsfreiheit eingeschränkt ist und man kein Recht zu reden hat? Man kann die Freiheit und das Leben der Menschen nicht kaufen. Warum wollen manche an der Wahrheit vorbeischauen? Das ist eine grobe Beleidigung der Menschen.“ Später ergänzte Rohani: „Die Menschen haben ökonomische, kulturelle, soziale und die Sicherheit betreffende Forderungen. Wir müssen allen Forderungen Rechnung tragen. Wenn die junge Generation die Mehrheit im Land stellt, müssen wir unsere Entscheidungen nach ihren Wünschen ausrichten.“
Ob Rohani seine Äußerungen ernst meint oder sie nur zur Beruhigung der großstädtischen Mittelschicht und ausländischer Beobachter ausgesprochen hat, lässt sich nur mutmaßen.
Der als „Stellvertreter Gottes auf Erden“ mächtigste Mann des Staates, Ali Chamenei, benannte im Gegenzug jedoch in einer Predigt drei „ruchlose Spieler“, die für die Unruhen im Iran verantwortlich seien: „Es gibt Hinweise darauf, dass ein Triumvirat an Protagonisten beim Zustandekommen der jüngsten Ereignisse beteiligt war. Einerseits besteht es aus den USA und den Zionisten (gemeint ist Israel), die seit Monaten an diesem Plan gearbeitet haben…andererseits sind es die reichen Staaten am Persischen Golf…und die dritte Seite besteht aus den Söldnern, die mit den mörderischen Heuchlern (gemeint sind die Volksmudschahedin oder MEK) verbunden sind.“
Neben diesen bereits üblichen Anschuldigungen, forderte Chamenei die Behörden auf zu untersuchen, ob die Verhafteten Feinde des Regimes oder einfache Gemüter seien, die etwas Orientierung bräuchten: „Wir sollten mit den Studenten und denjenigen, die sich den Auseinandersetzungen aus emotionalen Gründen angeschlossen haben, sprechen und sie aufklären. Doch jene, die als Spielfigur der Heuchler gehandelt haben und Menschen getötet haben, sollten eine andere Behandlung erfahren.“
Es ist zu befürchten, dass Chamenei damit eine Behandlung der Regimefeinde meint, wie sie wahrscheinlich drei jungen Männern (Mohsen Adeli, Vahid Heidari und Sina Ghanbari) wiederfahren ist. Sie wurden nach ihrer Verhaftung im Gefängnis gefoltert und starben. Ihre Tode wurden von den Behörden als Selbstmord deklariert, jedoch handelt es sich laut gut informierter Menschenrechtler um Mord.
Die Regime-Kritiker nutzen zunehmen die Möglichkeiten der neuen Medien, um Frust abzulassen und sich zu organisieren. Auf diese Weise sind bei den Unruhen zum Jahreswechsel 2017/18 auch viel mehr Videos und Informationen aus dem Land gekommen als noch 2009. Jedoch werden sie auch hier kontrolliert: speziell dafür ausgebildete Zuarbeiter des Regimes überwachen und kartographieren alle Aktionen, um zu geeignetem Zeitpunkt einzugreifen. Zudem sind die relativ neu eingerichtete Cyber-Armee Propagandaseiten sehr aktiv, um Ausgrenzungen, Rufmord und Hass weiter zu verbreiten.
Im Februar demonstrierten Mitglieder des Nematollah Gonabadi Sufi Ordens. Die Derwische protestierten gegen die Verhaftung eines ihrer Mitglieder und versuchten auch die Sicherheitskräfte daran zu hindern ihr Oberhaupt, Dr. Nour Ali Tabandeh zu verhaften. Hunderte Derwische kamen in Haft. Die traurige Auswahl der verhängten Strafen ist dem Anhang zu entnehmen.
Viele Menschen lassen sich auch von der Gewalt nicht zurückhalten. So sind auch in den vergangenen vier Monaten nach unabhängigen Berichten über 2000 Demonstranten inhaftiert worden. Wieder starben Dutzende an ihren Verletzungen.
Obwohl die Art der Demonstrationen für die allermeisten Iran Beobachter überraschend war, haben sie bisher nicht die Wucht erreicht, die einen so durchmilitarisierten Staat bezwingen könnte.
Wie der Schiitische Islam verzerrt und zur Machtgewinnung und Unterdrückung Andersdenkender benutzt wird
Im Jahr 1979 revoltierte das Land gegen Schah Mohammed Reza Pahlavi, so dass dieser sein Land verlassen musste. Getragen wurde die „Islamische Revolution“ durch eine breite Koalition verschiedener Schichten und Gruppen mit dem eigentlichen Ziel, der Religion mehr Raum zu verschaffen und nach „göttlichen Prinzipien“ zu regieren. Die Macht wurde an Ayatollah Chomeini und die Garden hinter ihm übertragen, das neue Land nannte sich Islamische Republik Iran.
Eine Volksabstimmung führte zu dem auch heute noch bestehenden System der „Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten“ (Velayat-e faghi). Dieser hat die Position des „Stellvertreters Gottes auf Erden“ inne, was eine enge Verquickung zwischen Religion und Staat impliziert. Chomeini nutzte diese Rolle, um die Staatsideologie zu definieren. Sie gilt als Grundlage sowohl für die Politik als auch für die Religion. Eine wesentliche Rolle in dieser spielt die messianische Erwartung. Chomeini konkretisierte den ursprünglich unspezifizierten Zeitraum seiner Rückkehr dahingehend, dass der Erlöser kommt, wenn die Schiiten sich aktiv für eine gerechte Gesellschaft einsetzen. Hierzu gehörte vor allem der Märtyerkult, bei dem es darum geht, sein Leben mit voller Begeisterung für sein Land, seinen Führer, für die Religion zu geben, in Erwartung paradiesischer Belohnungen. Die einst politisch passiv auf ihren Erlöser wartenden Schiiten ließen sich auf diese Art Ablasshandel ein.
Der Märtyrerkult wurde nach dem Tod Chomeinis 1989 verstärkt, als der auch heute amtierende Ali Chāmenei die Position des „Stellvertreters Gottes auf Erden“ übernahm. Dieser ließ wirre Thesen eines iranischen Gelehrten (Ahmad Fardid) in die Staatsideologie einfließen.
Der Kern dieser Ideologie verteufelt den Westen und seine Errungenschaften und erträumt eine goldene Zeit nach unserer Zeit. Die Anhänger werden ermutigt, die Umstände für die schnelle Rückkehr des Messias aktiv herbei zu führen. Diese werden beschrieben als: Ungerechtigkeit, Chaos, Blutvergießen. Mit dem Heilsversprechen im Jenseits werden die Schiiten verstärkt zu Gewalt angehalten mit dem Ziel, göttlich legitimiert die Zerstörung der bestehendenWelt zu forcieren.
Auf politischer Ebene gibt es zwei Fraktionen. Die eine ist die dargestellteprinzipientreue konservativ-fundamentalistischen Fraktion um den sogenannten „Stellvertreter Gottes auf Erden“ Ali Chamenei und seinen Anhänger bei den Pasdaran, Bassidschi und der Justiz. Die zweite Fraktion um den amtierenden Präsidenten Rohani ist eher pragmatisch Reform-orientiert. Sie pflegtgute Beziehungen zum Westen und wirdhauptsächlich von einer gebildeteren Mittelschicht getragen.
Auch wenn beide Flügel sich im Grundsatz einig sind, das Systems erhalten zu wollen, so werfen doch die Anhänger Chameneis allen Änderungs- bzw. Liberalisierungsinitiativen Rohanis Steine in den Weg. Ähnlich erging es bereits seinen Vorgängern Rafsandschani und Chatami.
Der Iran ist das einzige Land weltweit, die dem die Verfolgung Andersgläubiger auf Verfassungsebene verankert ist. Und das, obwohl der Iran den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 mit ratifizierte. In Artikel 13 der iranischen Landesverfassung sind nur einige wenigeReligionen aufgelistet, die aus Sicht der Staatsreligion Islam „schutzwürdig“ sind: Dieses sind Zoroastrier, Juden und (nicht konvertierte) Christen.[5] Umgekehrt bedeutet das Verfolgung für alle anderen Religionen einschließlich der Bahá‘í und der Sufis. Absurd klingen deshalb alle Behauptungen der iranischen Führung, in Iran genieße jeder Bürger die gleichen Rechte und die Bahá‘í seien nicht diskriminiert, sie würden lediglich aufgrund von Gesetzesübertretungen vor Gericht gestellt.
Esgibt sogarein offizielles Dokument, das Golpaygani-Memorandum, welches der Oberste Rat der Iranischen Kulturrevolution am 25. Februar 1991 verabschiedete. Es ist vom Obersten religiösen Führers Chamenei mit unterschrieben und muss damit auch als religiös verbindliche Anweisung angesehen werden. Dieses wurde 1993 von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen als authentisch verifiziert und veröffentlicht. Es weist alle iranischen Behörden an, „den Fortschritt und die Entwicklung der Bahá’í zu blockieren“ und ihre kulturellen Wurzeln (auch) im Ausland zu zerstören.[6]
In dem nicht-säkularen Staat Iran hat eine solche Anweisung dramatische Auswirkungen, denn es legitimiert die Verfolgung aller nicht von der Verfassung begünstigten Glaubensgemeinschaften. Damit ist der Willkür Tür und Tor geöffnet.[7]
Die hartgesottensten Regimeanhänger versammeln sich in den vom Staat betriebenen Moscheen. Für sie sind Moscheen nicht allein Gebetsräume, sondern Räume für Propaganda und Hetze gegen die vermeintlich Schuldigen an jeder Misere: USA, Israel, Saudi-Arabien. An allem, was schlecht läuft im Iran, sind die Erzfeinde aus dem Ausland Schuld. Wer Kritik am Regime äußert, läuft schnell Gefahr, als Feind der Nation oder Söldner einer ausländischen Macht bezeichnet zu werden.
Agieren des Regimes im Ausland
Die weltweite Spionage durch die iranischen Machthaber ist bekannt. In den vergangenen Jahren haben auch deutsche Medien wie Spiegel, Deutsche Welle, Die Zeit, FAZ, WDR und NDR viele Fälle iranischer Spionage innerhalb Deutschlands veröffentlicht. Berichtet wurde vom Ausspähen des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten und Wehrbeauftragten Reinhold Robbe bis zu HackerAngriffen aus dem Iran auf Universitäten und Unternehmen (auch 23 Hochschulen in Deutschland), wobei zahlreiche Dokumente gestohlen wurden.
In diesem Zusammenhang ist ein weiteres in der Verfassung festgeschriebenes grausames Ziel zu erwähnen, nämlich die Revolution zu exportieren. Der Revolutionsexport ist Aufgabe der Quds-Armee, die wiederum ein Teil der Revolutionsgarden ist. Die Quds-Armee hat in verschiedenen Ländern wie Libanon, Jemen oder Irak Verbündete. Diese treten als eigenständige Einheiten auf, werden aber im Hintergrund sowohl ideologisch und strategisch als auch ökonomisch und militärisch von Quds Generälen geschult und geführt. Die Quds-Armee arbeitet also als eine Art Schatten-Holding-Gesellschaft, derenAgieren riesige Summen verschlingt.
Ungleiche Verteilung
Die beiden politischen Lager haben sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die verfügbaren finanziellen Mittel des Staateseingesetzt werden sollen. Auch hier setzte sich bisher der fundamentalistische Flügel durch und erwirkte höhere Zuwendungen für religiöse Stiftungen und die Revolutionsgarden, deren Budget für 2017 40 Milliarden USD betragen haben soll. Gleichzeitig wurden Lebensmittel- und Benzinsubventionen, sowie andere Unterstützungen für Ärmere gekürzt oder gestrichen. Auf diese Weise stärkten die Fundamentalisten ihren Einfluss auf die Armen, die nun von der Zuwendung der religiösen Stiftungen abhängen und ihre Deutungshoheit zu Islam und der Islamischen Republik weiter festigen.
Die religiösen Stiftungen (Bonyads) wie die Astan-Quds-Razavi-Stiftung nehmen Jahr für Jahr Millionen von den gläubigen Pilgern ein. Sie entziehen sich sowohl der Verpflichtung Steuern zu bezahlen, als auch einer Kontrolle durch das Parlament. Rohani fordert zwar beides, durch die enge Verzahnung mit der Revolutionsgarde haben die Stiftungen großeMacht und weigern sich erfolgreich, Außenstehenden Einblick in ihr Tun zu gewähren.
Auch Menschen, die wichtige Posten im Wirtschaftsgeflecht der Pasdaran[8]innehaben und gerade nach Aufhebung der Sanktionen stark profitiert haben stehen wirtschaftlich sehr gut da. So sind die aus den USA nach dem sogenannten Nuklear-Deal frei gewordenen Milliarden beim Durchschnittsbürger nie angekommen.[9]
Wie reagieren Westliche Länder?
Ein großer Teil von Exiliranern in Norwegen, Schweden, den USA oder Deutschland gingin der Zeit der Unruhen auf die Straßen. Siewurden in den Medien dieser Länder zwar sichtbar und hörbar, doch die westlichen Regierungen sind sich uneins im Umgang mit demIran.
In den USA wird seit der Machtübernahme durch Präsident Trump ein Regime-Wechsel favorisiert, auch wenn sich die wenigsten Verantwortlichen auf eine militärische Intervention einlassen wollen. Dennoch liegt ein solchesSzenario auch als Option in den Schubladen der Sicherheitsdienste. [umgestellt] Das Szenario einer militärischen Intervention in Iran sieht eine Beteiligung der straff organisierten Volksmudschahedin[10]vor. In Nevada soll es beispielsweise Trainingscamps geben, wo Kämpfer der größten Oppositionsgruppe im Ausland auf einen Einsatz vorbereitet werden. Die Volksmudschahedin (MEK) waren jahrelang auf der Terrorliste, sind jedoch sowohl in Europa als auch in den USA wieder von diesergestrichen worden.
Im Gegensatz zu Trump suchte die Vorgängerregierung unter Obama noch den Dialog mit den Kräften um Rohani. Um sich eine einflussreichere Position zu verschaffenhat das Regime viele Lobbyisten und hohe Budgets eingesetzt.
Die Europäische Union favorisiert immer noch den Weg des Dialogs. Wirtschaftliche Beziehungen betrachten die Europäer dabei als Grundlage für die Dialoge. Argumentiert wird, dass nur dort Druck ausgeübt werden kann, wo auch wirtschaftliche Beziehungen bestehen.Einerseits ist das wohl war. Andererseits ist die Revolutionsgardein alle größere Geschäfte mit dem Iran involviert. Ihr Rolle, ihre Macht und ihr Dasein im Iran werden auf diese Weise zementiert. Und die Revolutionsgarden haben per Verfassung einem zerstörerischen Auftrag gegenüber der westlichen Welt. Es sind ideologisch geschulte Kader mit einer Expansionsagenda. Wie sollalso durch wirtschaftliche Beziehungen der erwünschte Sinneswandel bewirkt werden?
Zu den Taktiken der Pasdaran gehört dazu, sich möglichst im Hintergrund zu halten und andere vorzuschicken. In militärischen Interventionen sind es Afghanen, Libanesen, Iraker oder andere Nationalitäten, die verpflichtet werden, in wirtschaftlicher Hinsicht lassen sie im Westen ausgebildete und sich tendenziell eher westlich gebärdende Frauen und Männer die Geschäfte für sich abwickeln.
Neben den Volksmudschahedin gibt es im Ausland viele weitere oppositionelle iranische Gruppierungen. Die Volksmudschahedin werden als marxistisch-islamische Partei mit demokratischer Agenda beschrieben, während es viele weitere kommunistisch-orientierte Splittergruppen gibt. Weiterhin machen Kurden einen größeren Teil innerhalb der Auslandsopposition aus. Ihre Agenda reicht vom Sturz des Regimes bis zur Errichtung eines eigenen kurdischen Staats. Dazu kommen Iranerinnen und Iraner, die erst vor wenigen Jahren geflohen sind und die sich nicht als politische Opposition verstehen. Oft handelt es sich dabei um Anhänger von im Iran verfolgten Geistlichen wie Ajatollah Boroudscherdi oder dem Begründer einer alternativen Heilmethode, Mohammad Ali Taheri oder um Mitglieder des Nematollah Gonabadi Ordens. Daneben gibt es bürgerlich gesinnte Exil-Iraner, die mit Religion oder Spiritualität nichts am Hut haben. In den USA leben viele Anhänger Reza Pahlavis, dem Sohn des 1979 gestürzten Schahs, aber auch viele Exil-Iraner, die sich nicht um Politik scheren und die amerikanische Lebensweise angenommen haben.
Europa hingegen verfolgtkonsequent den Weg „Wandel-durch-Handel“ und hält am Regime fest. Die Haltung erinnert an antiautoritär agierende Eltern, die im Wunsch liberal zu bleiben, die eigenen Werte vernachlässigen und jeglichen Einfluss verlieren.
Würde man das Agieren Europas zynisch als ein ungeschriebenes Gesetz formulieren, so könnte das etwa so lauten:
§ 1: es gilt der Primat der Wirtschaft
§ 2: im Interesse wirtschaftlicher Gewinne ist auch eine undemokratische, gewaltfördernde und menschenrechtsverletzende Regierung des Partnerlandes zu tolerieren.
§ 3: kollidieren wirtschaftliche und humanitäre Interessen in der Beziehung zu einem Partnerland, so sind die humanitären Interessen sekundär.
Natürlich würde kein demokratisches Parlament der Welt ein solches Gesetz verabschieden. Unausgesprochen wird es jedoch so praktiziert, während die ausführlich formulierten und ratifizierten Menschenrechte in der Praxis leider zu häufig ohne Konsequenz bleiben. Es scheint, dass Menschlichkeit nicht per Gesetz verordnet werden kann.
Nehmen wir die westlichen Werte wie Demokratie, Gleichheit, Freiheit und Humanismus ernst, so ist gewaltsamer Fundamentalismus mit der Unterdrückung Andersdenkender abzulehnen. Insbesondere Deutschland hat diesbezüglich einschlägige grausame Erfahrungen gemacht.Umgekehrt lehnt die Ideologie des iranischen Systems mit allen Systemanhängern die im Westen praktizierte liberale Lebensweise ab.So benutzt jeder den anderen aus wirtschaftlichen Interessen heraus. Es ist ein trauriges Spiel, bei dem es weitaus mehr Verlierer als Gewinner gibt.
Iran hätte nicht einmalübergestülpte westliche Werte zu befürchten, vielmehr könnten die Menschen auf die eigene Hochkultur vertrauen. So schrieb einst der Iranische Dichter Sa’adi Schirazi folgende Zeilen:
„Die Kinder Adams sind aus einem Stoff gemacht,
als Glieder eines Leibs von Gott, dem Herrn, erdacht.
Sobald ein Leid geschieht nur einem dieser Glieder,
dann klingt sein Schmerz sogleich in ihnen allen wider.
Ein Mensch, den nicht die Not der Menschenbrüder rührt,
verdient nicht, dass er noch des Menschen Namen führt.“
August 2018, Frieda Gehann, ©mehriran.de
[1]www.gfbv.de/de/informieren/zeitschrift-bedrohte-voelker-pogrom/aeltere-ausgaben/260-iran-vielvoelkerstaat-ohne-gleichberechtigung-und-glaubensfreiheit/
[2]Beitrag Soheila Hadipour, PK am 07.06.18 in Berlin
[3]iran.bahai.de/lagebericht-4/dokumente/
[4]Die Bedeutung der neuen Medien im Iran, Karamat e.V. Dossier Menschenrechte im Iran 2018, S. 24
[5]„Article 13: Zoroastrian, Jewish, and Christian Iranians are the only recognised religious minorities, who, within the limits of the law, are free to perform their religious rites and ceremonies, and to act according to their own canon in matters of personal affairs and religious education.“
[6]iran.bahai.de/lagebericht-4/dokumente/
[7]iran.bahai.de/lagebericht-4/dokumente/
[8]Die Iranische Revolutionsgarde oder Sepah, informell auch Pasdaran
[9]www.nzz.ch/international/schuldzuweisungen-unter-irans-maechtigen-ld.1346734
[10]Wikipedia: eine militante iranische Oppositionsbewegung. Sie ist Teil des Nationalen Widerstandsrates des Iran, einer Organisation, die sich selbst als säkulares und demokratisches Exilparlament des iranischen Volkes bezeichnet