„Mein geliebter Sohn Nima“ – Brief einer Mutter aus einem der Kerker Irans und Proteste in Karlsruhe

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mehriran.de – Mitten in Karlsruhe versammelten sich am Samstag, 29. September 2018 einige Dutzend liberaler Exil Iranerinnen und Iraner, um öffentlich Demokratie und Freiheit für ihr Heimatland zu fordern. In zahlreichen Gesprächen mit Passanten begründeten die Aktivisten, warum sie die Europäische Union auffordern, das diktatorische Regime im Iran nicht weiter zu unterstützen und stattdessen dem iranischen Volk im Streben nach Freiheit und Demokratie Hilfe zukommen zu lassen. Weiterhin wurde ein Brief der im Iran inhaftierten Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh an ihren minderjährigen Sohn verlesen. Die in Karlsruhe lebenden Menschen mit Wurzeln im Iran verurteilten die jüngsten Hinrichtungen im Iran und forderten die Abschaffung der Todesstrafe und einen sofortigen Stopp der Hinrichtungen im Iran.

Liberale Exil Iranerinnen und Iraner protestieren für Demokratie und Freiheit in ihrem Heimatland

mehriran.de – Im folgenden veröffentlichen wir die Ansprache der Aktivisten aus Karlsruhe und die deutsche Übersetzung des Briefes der Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh an ihren minderjährigen Sohn:

„Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen,
wir sind sehr besorgt über die gravierenden Menschenrechtsverletzungen im Iran.
Die Welle der Hinrichtungen erfasst u.a. politisch und sozial aktive Iraner, Jugendliche, Studenten, Frauen, religiöse Minderheiten, ethnische Minderheiten, Umwelt-Aktivisten, Anwälte, Menschenrechts-Aktivisten, Lehrer, Arbeiter, u.v.m.. Zum Beispiel wurden vor einigen Tagen mehrere Gefangene, u.a. drei junge Männer aus Kurdistan, trotz internationaler Proteste von Menschenrechts-Organisationen und -Aktivisten hingerichtet.
Laut Amnesty International gelten nach der iranischen Willkürjustiz die Mädchen ab 9 Jahren und die Jungen ab 15 Jahren als volljährig und können bestraft werden. Soger mit dem Tode. Das ist eine krasse Verletzung der international anerkannten Konventionen über die Rechte der Kinder.
Wir im Exil lebenden Iraner intensivieren unsere Aktivitäten für die Menschenrechte und demokratischen Werte im Iran. Wir treten ein, für ein freies, demokratisches Land. Wir lehnen das totalitäre Regime, das die Forderungen seiner eigenen Bürger mit Unterdrückung, Folter und Hinrichtung beantwortet, ab. 
Es lebe die Freiheit!“

Die Menschenrechtsverteidigerin Nasrin Sotoudeh (rechts) vor der erneuten Inhaftierung mit ihrem Sohn Nima und der älteren Tochter Mehrave.

Die Rechtsanwältin Nasrin Sotoudeh ist die bekannteste Menschenrechtsaktivistin im Iran. Sie ist Trägerin des Sacharows-Preises des Europäischen Parlaments für die geistige Freiheit und Mitglied im Kuratorium der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte. Am 13. Juni 2018 wurde die Mutter von zwei Kindern verhaftet und in das berüchtigte Evin-Gefängnis in Teheran eingeliefert. 
In ihrer Abwesenheit, ohne ihr Wissen und ohne Möglichkeit zur Verteidigung war sie zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die Anklagepunkte sind nicht bekannt. Sicherheitskräfte und Justiz weigern sich, Urteil und Urteilsbegründung auszuhändigen oder konkrete Vorwürfe gegen sie zu benennen. Ihr Ehemann, der Menschenrechtler Reza Khandan, wurde am 4. September 2018 verhaftete und ist dort ebenfalls inhaftiert. Die IGFM setzt sich für die sofortige Freilassung von Nasrin Sotoudeh und Reza Khandan ein. Nachstehend veröffentlichen wir einen Brief, den Nasrin Sotoudeh an ihren Sohn gerichtet hat:
„Mein geliebter Sohn Nima,
Ich weiß nicht, wie ich den Brief beginnen soll? Kann ich den Begin Deiner Schule ignorieren und Dir sagen, lieber Nima, ohne mich und Deinen Vater, es ist nichts Schlimmes geschehen und dieses Jahr ist auch wie alle anderen Jahre? Und bitte lerne fleißig, erledige Deine Aufgaben, sei ein guter Junge bis wir wieder aus dem Gefängnis sind?
Aber mein lieber Nima, ich hasse es, all das Dir als Mutter zu erzählen. Mit welchem Recht will ich Dich dazu bringen, zu denken, es wäre Dir lieber gewesen, überhaupt keine Mutter zu haben. Du hast in Deinem kurzen Leben bis jetzt einiges wegen uns mitgemacht, Deine Ängste und Sorgen über Ungerechtigkeiten des Seins, Unsicherheiten, ob Du mich besuchen darfst. Wenn es so wäre, hätte ich als Mutter die Freiheit, mich für den Kampf um Menschenrechte und Gerechtigkeit zu kümmern. Aber ich schäme mich dafür, dass ich so etwas denke und all das schreibe ich Dir als Mutter. 

Aber mein Nima, wie könnte ich die Hinrichtungen der Jugendlichen in meinem Land sehen und schweigen? Wie könnte ich den Kindermissbrauch und die Kindermisshandlungen in unserem Land sehen, dabei meine Augen schließen und neben Dir mit gutem Gewissen schlafen? Damit ich Dir Deinen Schulranzen geben und Dich mit Deinem Vater bis zur Schule begleiten kann? Mein Sohn, ich könnte es nicht und das ist meine Schuld!
Hier gibt es kein Recht oder Gerechtigkeit und mein Beruf als Rechtsanwältin ist verhasst. Die Rechtsanwälte sitzen im Gefängnis. Und in diesen Tagen denke ich im Gefängnis an Dich, Deine Einsamkeit und an Deine Schwester Mehrave, die uns so viel Glück und Erfolg gebracht hat und jetzt unsere Rolle, die Rolle von Vater und Mutter, die im Gefängnis sitzen, übernimmt und Dich beschützt!
Ich schenke Dir meine liebenden Tränen aus dem Gefängnis, damit die enorme Last der Ungerechtigkeit dieser schrecklichen Zeit, etwas erträglicher für Dich wird.
Teheran, Evin Gefängnis, Mama. Tausend Küsse, da ich Dich lange nicht gesehen habe!“

©mehriran 2018

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Kritisch zum Regime. Hintergründe, Fotos, Berichte zu Iran. Positiv zu Land und Leuten.