Todesschach, aber kein Krieg

Ismail Hanija, Todesschach

Hisbollah-Raketen auf Israel. Tote Kinder. Gezielte Schläge auf hochrangige Hamas und Hisbollah Kader. Israel und Iran spielen Todesschach.

Zug um Zug halten sie damit zunehmen die Welt in Atem. Fu’ad Schukr und Ismael Hanija sind tot. 12 Kinder auf den Golanhöhen sind einer Rakete der Hisbollah zum Opfer gefallen. Müssen wir einen Flächenbrand im Nahen Osten befürchten? Die blutigen Eskalationen zwischen Iran, seinen zahlreichen Proxies und Israel und der Abraham Allianz sind noch kein Krieg im klassischen Sinne. Aber eine Art Todesschach. Jeder Zug ein Blutbad.

Kalifat und Barbarei

Islamistische Kalifatsfreunde unter Ali Chamenei sind sich nicht zu schade, ihren Märtyrer- und Todeskult unter Verzweifelten, Indoktrinierten oder willigen Helfern zu nähren, um ihre Ziele zu erreichen: Errichtung eines weltweiten Kalifats. Ein Kalifat zeichnet sich im Gegensatz zu einem Nationalstaat durch ein deutlich autokratisches Verhältnis des Kalifen (Obersten Führers, etc.) zu seinen rechtlosen Subjekten aus. Jedes Mittel ist dafür recht, mit der Konsequenz, dass barbarischste Taten herhalten müssen und dürfen.

Zivilisation vereinigen

Somit konnte Premier Benjamin Netanjahu in seiner Rede vom 25. Juli 2024 vor dem US-Kongress zwischen zwei Gruppen unterscheiden: Humanisten, die an der Zivilisation arbeiten und Barbaren, die mit allen Mitteln zerstören. Entgegen Samuel Huntingtons These von einem „Clash of Civilizations“ (Kampf der Kulturen), postuliert Netanjahu einen Kampf zwischen Humanisten, die sich unabhängig ihrer Abstammung oder Religion dem Aufbau der Zivilisation widmen und den Unmenschen, die alle menschlichen Werte verletzen, um ihre Agenda in die Welt zu bringen.

Benjamin Netanjahu mit Leibwächter, 2024

Auch wenn er in den USA spricht und dort handfeste Ziele verfolgt, spricht er auch zu Vertretern Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate, die seine Worte sicherlich genau anhören. Netanjahu’s Vision ist eine „Allianz der Abrahamiten“. Sowohl Christentum als auch Judentum und Islam gehen auf den Stammvater Abraham zurück, der eine Religion mit Namen „Hanif“ schuf, auf der die drei Religionen aufbauen. Diese Allianz soll den Verantwortlichen der Barbarei entschlossen entgegentreten.

Video von der gesamten Rede Benjamin Netanjahu’s vor dem US-Kongress am 25.07.2024

Todesschach im Hintergrund

Europäische Politiker weichen kein Jota von ihrem Konzept des Dialogs, der offenen Türen und der sanften Mahnungen gegenüber einer brutalen Diktatur in Iran ab. Enrique Mora, Stellvertretender Generalsekretär der Europäischen Union, reiste zur Amtseinführung Mahmud Peseschkians nach Teheran, gesellte sich zum Gruppenfoto mit Ismael Hanija und anderen Würdenträgern radikaler Ideologien. Mora hatte mit dem zukünftigen Aussenminister Abbas Araghchi bereits in den Verhandlungen zum JCPOA zu tun.

Enrique Mora und Abbas Aragchi, 2021. Spielen offizielles Schach, während im Hintergrund Todesschach läuft.

Der irische Präsident Michael D. Higgins liess sich wohl von dem freundlichen Erscheinungsbild Peseschkians inspirieren, ihm ein Gratulationsschreiben zu schicken. Er war nicht der einzige. Der Glaube an Appeasement ist stark. Dadurch, dass Dschawad Sarif und Präsident Peseschkian dem Westen wieder vorgaukeln dürfen, es gäbe eine Möglichkeit, das System in Iran zu reformieren, treibt es die westlichen Netzwerke und Fürsprecher von Verhandlungen wieder in den Iran.

Währenddessen sehen flüchtige Oppositionelle aus dem Nahen Osten, ernsthafte Kritiker der islamistischen Ideologie und Bewohner Irans, mit Erstaunen, Wut oder Enttäuschung auf diese Anbiederungen.

Einzig Benjamin Netanjahu sammelt Pluspunkte bei der iranischen Diaspora, da er es bisher vermieden hat, Iran als Land anzugreifen und nur präzise Schläge gegen Terrorverantwortliche genehmigt hat. Hisbollah und Hamas haben zahlreiche Kommandeure und hochrangige Kader verloren. Es wirkt wie ein grosses Schachspiel. Ein tödliches. Todesschach.

Ismael Hanija und Fu’ad Schukr, Opfer im Todesschach

Nachdem eine Hisbollah Rakete am Samstag, 27.07.24 auf einem Fussballplatz in Madschdal Schams, Golan-Höhen, 12 Kinder zerfetzt hatte, war der Schock sowohl in der drusischen Gemeinschaft als auch in ganz Israel gross. Netanjahu schwor, eine passende Antwort zu geben. Manche erwarteten gleich einen Einmarsch in den Libanon, doch Netanjahu setzte wieder auf präzise ausgewählte Verantwortliche aus den Reihen der Hisbollah.

Fuad Schukr, hochrangiger Kommandeur der Hisbollah, war wohl zu Besuch bei einer Frau, die er jede Woche einmal aufsucht. Er wog sich in Sicherheit. Das Gebäude in einem Vorort Beiruts wurde vollständig zerstört. Schukr und weitere Menschen kamen ums Leben. Es gab viele Verletzte.

Schukr gehörte dem höchsten militärischen Gremium der Hisbollah, dem Dschihad-Rat, an und hat Hisbollah-Kämpfer und pro-syrische Regimetruppen bei der Militärkampagne der Hisbollah gegen syrische Oppositionskräfte in Syrien unterstützt. Er wurde seit Jahren von den USA gesucht, weil er vor 40 Jahren einen verheerenden Anschlag auf US-Streitkräfte in Beirut befohlen hatte.

Gebäude in Teheran, in dem vermutlich Hanija untergebracht war und seinen Tod fand. Todesschach pur.

Ein weiterer rätselhafter Schlag erfolgte mitten Teheran, nachdem Präsident Peseschkian vor dem iranischen Schaufenster-Parlament in seinen Posten inauguriert wurde. Zu Besuch war neben Enrique Mora auch Ismael Hanija, Politchef der islamistischen Hamas. Es sollte seine letzte Amtshandlung und sein letzter öffentlicher Auftritt sein. In der Nacht traf ihn in einem Wohnkomplex, der zu den Pasdaran gehört, eine komplexe gesteuerte, nicht näher definierte Rakete.

Aktuell spekuliert die New York Times auf Grundlage von Quellen aus dem Mittleren Osten darüber, dass Ismail Hanija in einem Appartement der Revolutionsgarden untergebracht war, in dem zwei Monate zuvor eine Bombe versteckt wurde, die kurz nach seiner Ankunft aus der Ferne aktiviert wurde. Diese Spekulation wird von verschiedener Seite abgelehnt. Erstens gilt Autorin Farnaz Fassihi manchen Exil-Iranern als Regime freundlich. Sie warnen vor Falschinformationen. Zweitens macht die Geschichte von der im Raum explodierten Bombe auf Grundlage der veröffentlichten Bilder nicht wirklich Sinn.

Das Establishment in Teheran gab sich überrascht, beschuldigte sofort Israel und versprach Rache. Ob die von der New York Times transportierte Version korrekt ist, wird sich erst prüfen lassen, wenn das Regime gefallen ist.

Ismael Qa’ani, Nachfolger von General Ghassem Soleimani als Kopf der Qods Armee. Wird er Teil der Rache oder ein weiterer Exit-Kandidat im Todesschach?

Maximaler Druck auf das Regime, maximale Unterstützung für die Menschen

Rede beim Kongress der National-Konservativen in den USA am 10.07.24

Der iranische Schahsohn Prinz Reza Pahlavi durfte in einer Rede vor den US-National-Konservativen in Washington, DC auf die Gefahren durch die Ideologen des Regimes in Iran hinweisen. Er wies auf die Geschichte seines Heimatlandes hin, das 1979 in einer Welle von breiten Protesten durch marxistisch-islamistische Revolutionäre übernommen wurde und seither von Gewalt, Justizwillkür und engem, durch Gesetze geregelten Verhaltenskodex, geknechtet wird. Er warnte vor allem die USA vor der Propaganda und den Aktionen des Regimes, um die USA ins Chaos zu stürzen.

Der Politik empfahl er, maximalen Druck auf das Regime auszuüben, anstatt auf Fortschritte durch Verhandlungen oder Appeasement-Politik zu hoffen. Gleichzeitig bat er nicht um Intervention in Iran, aber um maximale Unterstützung für die Bevölkerung.

In einem Interview mit Afshin Sajedi, politischer Berater der Internationalen Organisation zum Schutz der Menschenrechte, erfuhren wir, wie maximale Unterstützung möglich ist: Austrocknung der Finanzströme des Regimes im Ausland, gezielte Sanktionen gegen Vertreter des Regimes, Schliessung aller Botschaften, der iranischen Diaspora Gelegenheit geben sich in Diskussionen einzubringen.

Todesschach

Chamenei hat nach einer Sitzung mit dem Sicherheitsrat einen gross angelegten Angriff auf Israel befohlen. Es bleibt ihm wohl auch nichts anderes übrig, nachdem Hanija’s Leben unter seinem Schutz ausgelöscht wurde. Der überraschende Schachzug hat das Regime unter Zugzwang gesetzt. Wird Israel die Reaktion Chamenei’s auffangen können?

Iran International berichtet immer sehr aktuell.

Ende des Schachspiels?

Nach dem Tod Hanija’s in Teheran, veröffentlichte Reza Pahlavi dieses Statement:

„Ismail Hanja hätte niemals iranischen Boden betreten sollen. Seine Anwesenheit war eine Beleidigung für unsere Nation und unsere Mitmenschen. Die terroristischen Handlungen dieses Massenkriminellen gegen Israelis und Palästinenser wurden durch Gelder der Menschen in Iran gegen ihren Willen und gegen ihre Interessen finanziert. Die Eliminierung Hanija’s im Herzen von Teheran zeigt wie schwach, nutzlos, inkompetent und auf höchsten Sicherheitsebenen durchdringbar dieses Regime ist.

Den Anschein von Macht wahren sie durch Schläge, Verhaftungen und Morde an unschuldigen und wehrlosen iranischen Bürgerinnen und Bürgern, die auf den Strassen für Freiheit kämpfen. Diese mutigen Freiheitskämpfer in Iran sind die Lösung und der einzige Weg für einen dauerhaften Frieden im Mittleren Osten. Ihnen den Rücken zu stärken, wird zum Sturz Ali Chamenei’s und seines kriminellen Kalifats führen. Somit kann die Region endlich wieder Stabilität und Frieden erfahren.“

@Helmut N. Gabel für mehriran.de, 01.08.2024

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Kritisch zum Regime. Hintergründe, Fotos, Berichte zu Iran. Positiv zu Land und Leuten.