Bedroht, diskriminiert, verfolgt – Keine Zukunft für Regime-unabhängige Derwische in der Islamischen Republik

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44 Jahre nach der sogenannten Islamischen Revolution im Iran, sollte unser Bild von dem herrschenden Regime klar sein. Die ersten Jahre nach Ausrufung der Islamischen Republik am 1. April 1979 waren noch durch wechselnde Bündnisse gekennzeichnet. Schließlich setzte sich eine bis heute herrschende, religiös-ideologische Machtgruppe aus bestimmten Geistlichen und den Revolutionsgarden durch. Dem obersten Rechtsgelehrten eines politisch verstandenen schiitischen Islams steht die höchste politische und religiöse Autorität zu. Er wird von einem Wächterrat ergänzt, dessen Mitglieder er aussucht und die ihn theoretisch absetzen könnten. Herrschaftsmethoden wie Justizmissbrauch, Diffamierungen, Ausgrenzungen, Alimentierung eigener Klientel, gewaltsame Unterdrückung von Protesten sowie Morde im In- und Ausland kennzeichnen dieses System.

Dieser Beitrag ist in einer erweiterten Version im Jahrbuch Religionsfreiheit 2022/2023 erschienen. Herausgeber: Thomas Schirrmacher, Martin Lessenthin und Martin Warnecke.

In Iran leben Sufis neben sunnitischen und schiitischen Muslimen, Baha’i, Christen und Menschen anderer Denominationen gefährlich. Die Verquickung von Religion und Staat zu einer sich exklusiv verstehenden Ideologie1 wirkt sich auf das Zusammenleben zwischen Anhängern der Staatsideologie und Menschen, die einer anderen Weltanschauung folgen, zum Nachteil der Letzteren aus.

Glaubensgemeinschaften, die sich nicht dem Obersten Rechtsgelehrten als religiösem und spirituellen Anführer unterwerfen wollen, werden kontinuierlich auf Betreiben der Revolutionsgarden attackiert und stehen unter massivem Druck, da sie allein durch ihr Dasein die dogmatisch-religiös gefärbte Staatsideologie gefährden. Westliche Staaten und internationale Organisationen reagieren darauf deutlich zu passiv, kritisieren Oppositionelle. Wer sich der staatlich verordneten Ideologie nicht unterwirft, den Obersten Führer nicht als seinen religiösen Führer anerkennt, wird zur Zielscheibe, zum Opfer von Unterwanderung, Ausgrenzung und Verleumdung. Das gilt besonders für Glaubens und Gesinnungsgemeinschaften. Auch muslimische Sufis2besonders der Nematollah Gonabadi Orden, sind betroffen.

Sufis gelten bei religiösen Machteliten im Iran als Konkurrenten. Wenn Sufis Freiheit, Selbstbestimmung, Pluralität und Verantwortung als Werte einbringen, widerspricht dies dem alleinigen Führungsanspruch der Machtelite, die Religion für ihre Zwecke missbraucht.

Die Vielfalt der Sufi Persönlichkeiten, Lebensstile und Denkschulen ist einzigartig und führt häufig zu Verwirrung bei Außenstehenden, die den Begriff Sufi zu eng fassen. Als kleinsten gemeinsamen Nenner des Sufismus könnte man das Streben nach einer nahen Verbindung zu Gott benennen.

Der Zustand der Liebe, der dies ermöglicht, ist ein hohes Ideal. Allein, es führen so viele Wege dahin, wie es Menschen gibt, da jeder Mensch eine andere Ausgangssituation, Verständnisfähigkeit und Aufnahmekapazität hat.

Für manche bedeutet die Zugehörigkeit zu einem Sufi Orden schon die Nähe zu Gott, weil sie dem Anführer des Ordens unantastbare Heiligkeit und höchste Vollendung zuschreiben, die sich quasi automatisch auf sie überträgt. Im Gegensatz dazu beschreiben einige Sufi-Lehrer meist mündlich, aber auch in einigen Schriften, akribisch, wie ein Sufi Schulungsweg aussehen kann, welche Übungen in welcher Häufigkeit anzuwenden sind und welche Stufen ein Adept durchläuft, um graduell den Zustand der Liebe zu realisieren.

Sufis haben über viele Jahrhunderte gleichermaßen Anerkennung, Verfolgung, Spott, Ehrfurcht, Ausgrenzung und Auszeichnung erfahren. Es waren sowohl Frauen, aber in der Mehrzahl Männer. In Zeiten gesellschaftlichen Wandels zeigen sich immer mehr Frauen, die mit den Sufi Lehren vertraut sind und den Schulungsweg der Sufi praktizieren.

Die Entstehung von Sufi Orden

Zu Beginn des 7. Jahrhunderts bekämpften sich die benachbarten Sassaniden und Byzantiner. In zahllosen verlustreichen Schlachten schwächten sie sich substanziell. Viele Menschen flohen in die Berge, wo sie in Klöstern Ruhe fanden und innere Einkehr entlang gnostischer Lehren praktizierten.

Schließlich brachten arabische Heere unter der Flagge des Islams das Reich der Sassaniden zu Fall. Bewohner der Klöster wurden für ihre besondere Lebensweise ab dem 10. Jahrhundert als „Sufi“ bezeichnet. Aus ihrer Lebensform entstanden im 12. Jahrhundert diverse Sufi Orden, die Teile der islamisch geprägten Gesellschaften wurden. Vermutlich nannten sich die frühen Einsiedler selbst Sufi3. Weder waren sie Juden, noch Zoroastrier4, noch Christen. Sie hingen nicht an weltlicher Macht oder Reichtum, entsagten der Welt, der körperlichen Lust und praktizierten Meditation und Andacht.

Im Laufe der Jahrhunderte passten sie sich der muslimischen Gesellschaft an. Sie versenkten sich in die spirituellen Aspekte des Korans, doch ihre Verwandtschaft mit jüdischen, christlichen und buddhistischen Gnostikern ist unverkennbar.

Verquickung von Politik und Religion durch das Mullah-Regime

Als sich die sufistischen Safawiden5 im 16. Jahrhundert aus einem Sufi Orden heraus zu einem Machtfaktor im Mittleren Osten entwickelten, legitimierten sie ihre Herrschaft auch dadurch, dass sie unduldsam gegen andere Sufis auftraten und eine neue Orthodoxie etablierten. Ein ähnliches Muster zeigt sich in der späteren sogenannten Islamischen Revolution in Iran. Der iranische Revolutionsführer Chomeini entstammte wohl einer Sufi Familie.

Das Herrschaftssystem, das er schuf, verquickte Elemente von Spiritualität, Religion und Machtausübung und wurde von Teilen des Machtapparates dazu benutzt, Gegner auszuschalten, die entweder politisch oppositionell waren oder spirituelle/religiöse Überzeugungen vertraten, die sich nicht dem staatlich-einheitlichen Prinzip des einen obersten Rechtsgelehrten unterwarfen und seine göttliche Legitimation anerkannten, während Chomeini von der Gesellschaft abgekapselt in seinen Vorstellungen lebte.

Diese Herrschaftsmethode ist aus anderen Zusammenhängen als stalinistische Säuberung bekannt. Es ist eine Praxis an Macht interessierter Gruppen, die im Iran unter den staunenden Augen der Weltöffentlichkeit immer wieder neue Wellen durchläuft. Viele Menschen in Iran unterstellen der globalen Politik, diesem Treiben tatenlos zuzuschauen. Seit der deutsche Menschenrechtsbeauftragte Günther Nooke6 im Juni 2009 deutliche Worte in Bezug auf das Regime in Iran verlauten ließ, ist die Weltgemeinschaft recht zurückhaltend in ihren Äußerungen in Bezug auf die Brutalität des Regimes gegen Regime-unabhängige Sufis gewesen.

Nematollah Gonabadi Orden im Fokus des Regimes

Seit radikale Kräfte 1981 das Versammlungshaus der Nematollah Gonabadi Sufis in Teheran in Brand steckten, hat dieser Orden zunehmend mehr Gewalt7 gegen seine Mitglieder erlebt, Zerstörungen seiner Einrichtungen erfahren und ist Opfer der Machtfantasien einiger Staatsideologen geworden. 2006 machten Bassidschi im Verbund mit offiziellen Sicherheitskräften nach einer Hetzkampagne einiger Staats-Ideologen das große Versammlungshaus der Sufis in Qom dem Erdboden gleich. Mehr als 2500 Frauen, Männer und Kinder, die das Haus schützen wollten, wurden verletzt und kamen in Haft. 2007 passierte das gleiche in Boroudscherd und in Chermahin. 2008 auf der Insel Kisch, in Ahwaz und Omidieh. 2009 zerstörten Bassidschi-Milizionäre eine Bibliothek und ein Versammlungshaus der Derwische in Isfahan. 2011 attackierten Bassidschi-Milizionäre Derwische in Kovar und in Fuladshahr und töteten einige von ihnen. 2013 gab es Angriffe in Shahr-e Kord, Bandar Abbas und Khorramshahr. Schliesslich kulminierten die verbalen und physischen Attacken 2018 mit Angriffen auf das Oberhaupt des Ordens in Teheran, die federführend von diversen Geheimdiensten des Regimes und den Revolutionsgarden orchestriert wurden. Zahlreiche Tote, Hunderte von Verletzten, Dutzende Gefangene und ein strenger Hausarrest für den über 90-jährigen Dr. Nour-Ali Tabandeh waren das Resultat dieser massiven Angriffe auf den Nematollah Gonabadi Orden.

Gefangene werden misshandelt

Abbas Dehghan, Journalist und Mitglied des Ordens, wurde im Februar 2018 bei der letzten grossen Attacke der Revolutionsgarden zusammen mit mehr als 300 Frauen und Männern verhaftet. Nach 70 Tagen Folter, um erfundene Geständnisse zu erpressen, erlitt er einen Schlaganfall. Seine Verurteilung zu 11 Jahren und sechs Monaten Gefängnis und 74 Peitschenhieben, wurde später auf sechs Jahre und drei Monate reduziert. Im Januar 2023 kam er frei.8

Behnam Mahdschubi, ein weiterer Derwisch, der 2018 bei der grossen Attacke inhaftiert und gefoltert wurde, verstarb 2021 im Gefängnis unter nicht ganz geklärten Umständen. In einer aus dem Gefängnis geschmuggelten Audioaufnahme beschwert er sich über diverse Folter und Zwangsmassnahmen. Man soll ihm zwangsweise ihm unbekannte Substanzen verabreicht haben.9

Sima Entesari10, ein weibliches Mitglied des Ordens, wurde ebenso 2018 verhaftet und zu zwei Jahren Haft verurteilt. Sie wurde in Garchak entgegen den Gefängnisregeln zusammen mit Frauen, die wegen Drogenkonsum verurteilt wurden, eingesperrt. Eine dieser Frauen wurde von den Behörden angestachelt, Gewalt gegen Sufi Frauen anzuwenden, um der Neuverhandlung ihres eigenen Falls eine günstigere Position zu verschaffen. Bei der nächst besten Gelegenheit schlug sie dann heftig auf Sima Entesari ein. Mittlerweile ist Frau Entesari auf freiem Fuss.

Herr Saeed Soltanpour und Frau Faezeh Abdipour11, Mitglieder des Ordens, wurden im November 2022 in Karadsch und in Gorgan verhaftet. Sie hatten an den landesweiten Protesten gegen die Ermordung einer jungen Frau durch die Sicherheitskräfte in Teheran teilgenommen. Soltanpour12 gehörte auch zu den Gefangenen von 2018. Er wurde jedoch 2020 als Reaktion auf Covid-19 aus dem Gefängnis entlassen. Nach der neuerlichen Verhaftung, wird er noch festgehalten.

Verwirrung um die Nachfolge im Nematollah Gonabadi Orden

Als Dr. Tabandeh, spirituelles Oberhaupt des Gonabadi Ordens13 Ende 2019 verstarb, konnte das Regime14 den Regime-unabhängigen Sufi-Orden dem Zerfall preisgegeben. Ein Teil der Mitglieder wandte sich vom Sufi-Sein gänzlich ab, einige folgen dem vom Regime als Nachfolger inthronisierten Ali Reza Dschazbi oder dem mit dem Regime kooperierenden Reza Tabandeh15 und ein anderer Teil schloss sich dem im französischen Exil lebenden Dr. Mostafa Azmayesh16 an, der sich wiederkehrend von den Machenschaften des Regimes distanziert.

Ali Reza Dschazbi hatte die letzten Jahre im näheren Umkreis von Dr. Nour-Ali Tabandeh verbracht, als dieser unter Hausarrest gestellt worden war. Botschaften des Oberhauptes an die Mitglieder des Ordens, leitete Dschazbi schriftlich weiter, wobei ihm andere führende Köpfe des Ordens schon früh unterstellten, die Botschaften abzuändern und geradezu in ihr Gegenteil zu verändern. Wie war Dschazbi so nah an Dr. Tabandeh geraten?

Die Väter der beiden hatten im frühen 20. Jahrhundert zusammen an einem Buch über die Nachfolgelinien der Nematollah Sufis gearbeitet. Vater Dschazbi wurde dafür aus Dankbarkeit mit dem Titel eines Scheichs belohnt, während die Kinder miteinander groß wurden.

Die Wege der Söhne nahmen jedoch unterschiedliche Richtungen. Dr. Nour-Ali Tabandeh hielt sich in seiner Jugendzeit fern vom Orden und folgte den Idealen und der Lebensweise des grossen indischen Asketen, Rechtsgelehrten und Friedensaktivisten Gandhi. Der Geist vieler Ordens-Mitglieder schien ihm von tiefem Aberglauben geprägt zu sein. Diese hielten das Oberhaupt des Ordens für ein übermenschliches Wesen, das jegliches Unheil abwenden könne und jegliches Unheil geschehe nur, weil das Oberhaupt es aus nicht einsehbaren Gründen zuließe. Gleichzeitig betrachteten sich diese Mitglieder auf Grund ihrer Mitgliedschaft als vollkommen. Tabandeh wiederum hielt den Sufi Weg für eine innere Verpflichtung, ein Leben lang an sich zu arbeiten, um die feinsten Seiten der Menschlichkeit in sich zu entwickeln und angesichts von Tyrannei nicht still zu halten.

Mit 25 Jahren17 trat er schliesslich dem Nematollah Gonabadi Orden, der damals von seinem Vater geführt wurde, bei. Später arbeitete er als Richter und setzte sich für die Rechte aller Iraner und Iranerinnen ein. Sein politisches Engagement bewegte sich entlang der Themen Unabhängigkeit, Freiheit, Bildung und Verantwortung. 1997 übertrug ihm sein Vorgänger die Leitung des Ordens.

Die Wege Ali Reza Dschazbis sind nicht eindeutig, ihm wird eine Nähe zum „Ministerium für Information“ unterstellt. Dschazbi diente als Brücke zum Ministerium für Information als die Attacken gegen Dr. Tabandeh ihren Höhepunkt erreichten. Dschazbi vertritt die alte Linie, gemäß der ein Derwisch gehorsam sein muss und alles, was geschieht, ausschließlich Gottes Wille ist. Das passt zur politischen Instrumentalisierung des Islam durch die Kräfte des Regimes in Iran, das für seine politische Ziele gerne alle unterwerfen will.

Tabandeh hatte in seinen letzten Jahren immer wieder betont, dass der echte Nachfolger als Oberhaupt, in gefährlichen Zeiten verborgen bleiben müsse, bis die Gefahr abgewendet sei, damit der Orden danach von dem echten Nachfolger wieder aufgebaut werden könne. So hat er es in der Zwangslage seiner letzten Lebensmonate zugelassen, dass Ali Reza Dschazbi den Titel des Oberhaupts übernimmt, hat ihm aber keine schriftlich niedergelegte Autorisierung erteilt, was zwingend üblich ist.

Dr. Seyed Mostafa Azmayesh
Tunne Kelam, Dr. Seyed M. Azmayesh, Beverly Eve, Prof. Miklòs Maróth

Kontinuierliche Selbst-Schulung als Sufi Auftrag

Azmayesh diente Tabandeh lange Jahre als Sprecher des Ordens im Ausland. Tabandeh autorisierte ihn, Menschen gemäß den Notwendigkeiten der Gegenwart und des Lebensumfelds spirituell zu begleiten. Jetzt vereint er Menschen in Iran und weltweit, die sich nicht qua Geburt mit der Zugehörigkeit zum Orden begnügen, sondern den Geist des Sufitums leben wollen und eine spirituelle Praxis mit kundiger Begleitung bevorzugen.

Dr. Tabandeh hielt dem konstanten Druck des Regimes, den Orden in den Dienst des Obersten Führers Chamenei zu stellen, über viele Jahre stand. Stets nahm er eine deeskalierende18 Position ein, um dem Regime keinen Vorwand zu liefern, ihn der Feindschaft gegen Gott zu bezichtigen19. Ein Vorwurf, der in Iran leicht mit der Todesstrafe vergolten wird. Die abhängige und politisch instrumentalisierte Justiz missbraucht solche Vorwürfe gerne zur Beseitigung ungeliebter Gegner.

Das Wesen des Sufitums baut auf freien Entscheidungen. Das Wesen der staatlich-religiösen Ideologie des Iran unter Führung von Ali Chamenei baut auf Kollektivismus und absoluten Zwang. Chamenei intendierte durch die Übernahme des Ordens unter seinen Schirm einen Zuwachs an persönlicher Legitimation.

Der von seinem Regime als Nachfolger eingesetzte Ali Reza Dschazbi hat die ehemals voraussetzungslose Aufnahme in den Orden in ein Diktum verändert, vor der Aufnahme in den Orden, mit einem schiitischen Kleriker Islam zu studieren. Gemeint ist die politisierte Version eines Islam, der mehr auf Überlieferungen, denn auf einem tiefen Verständnis des Korans aufbaut. Dies ist ein erster Hinweis darauf, wie der Orden den Strukturen des Regimes einverleibt wird.

Die Würde des Menschen ist unantastbar

Folgender Auszug aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte erinnert an die Haltung der Sufis. Sie sagen es in anderen Worten, doch der Sinn stimmt gänzlich überein.

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.20

Die Würde des Menschen ist für Sufis Ausgang und Ziel ihrer Gotteserfahrung. Gott schuf die Welt als unvollendeten Ort. Menschen kommen mit einer Fülle an zu entwickelnden Potentialen ausgestattet auf die Welt. Mit ihrer Geburt bringen sie unveräußerliche individuelle Rechte mit. Ihre eingeborene Freiheit liegt darin, ihre schöpferischen Potentiale in Entwicklung zu bringen und die Gestaltung des Zusammenlebens mit anderen Menschen positiv weiterzubringen.

Hafis bezeichnet die Lebenshaltung der Sufis so:

Ein harmonisches Leben in beiden Welten (vor und nach dem Tod) baut auf diesen beiden Prinzipien: a) Großzügigkeit und Güte gegenüber Freunden; b) Toleranz gegenüber Gegnern.“

Das Fundament des Sufitums machen Liebe und Frieden21aus. Kein Krieg gegen andere, kein Konflikt mit anderen. In Frieden leben mit Gläubigen und Nicht-Gläubigen, mit Muslimen (Sunniten, Schiiten, u.a.), Baha’is, Christen, Juden, Buddhisten, allen anderen. Die bedeutendste Auseinandersetzung22 für Sufi ist, Herrschaft über ihr Ego zu erlangen. Nour-Ali Tabandeh hat diesem allgemeinen Prinzip etwas hinzugefügt: beweglich und klar wie Wasser sein, wenn es um Freunde geht; aufrecht und widerständig sein wie Felsen, angesichts von Angriffen.

Wer in Frieden mit uns ist und Freundschaft pflegt, dem bringen wir die Haltung einer erfrischenden Quelle entgegen; wer uns hingegen spalten und unsere Einheit zerstören will, dem widersetzen wir uns mit entschlossener Haltung.“

Welche Aussichten gibt es für selbstbestimmte Sufis in Iran?

Tyrannei und Unterdrückung gilt für Sufis als Akt der Zerstörung alles Menschlichen. Deshalb stellen sie sich solchen barbarischen Handlungen entgegen. Eine Auswirkung sufistischer spiritueller Reife zeigt sich durch ihr Verhalten angesichts Tyrannei. Es bedarf großer Entschlossenheit23, Mut und Selbstlosigkeit.

In London hat ein iranisch-stämmiger Mann24 ein Beispiel dafür gegeben. Seit Ende Februar 2023 fordert er die Listung der Revolutionsgarden als Terrororganisation25. Dafür nimmt er körperliche Konsequenzen eines 72 Tage dauernden Hungerstreiks in Kauf. Er versucht, die in sich zerstrittene Diaspora zu einen. Seine Botschaft lautet unentwegt, nichts für sich selbst zu wollen, sondern für Zusammenhalt26 zu werben.

Er kämpft nicht für eine Ideologie, sondern für ein gemeinsames Ziel vieler Menschen mit unterschiedlichen Positionen. In zahlreichen Interviews fokussiert er stets die Sache und nicht seinen Hintergrund. Einige Demonstrationen mit zehntausenden Unterstützern in London und weltweit waren Früchte seiner Mühe.

Dieser Geist weht auch in den zahlreichen Protesten von Frauen und Männern in Iran gegen das Regime. Für die gegenwärtige Zeit scheint der entschlossene Widerstand gegen Tyrannei und Unterdrückung, die Aussicht auf eine Zeit der Großzügigkeit und Toleranz zu nähren.

Denn wir sind nicht hierher gekommen, um einander gefangen zu nehmen
oder unsere wunderbaren Seelen einzuschließen, sondern, um immer tiefer zu erleben, was in uns göttlich ist: Mut, Freiheit, Licht!“
– Hafis

1Velajat-e faghi, Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten. Von Ajatollah Ruhollah Chomeini entwickelte politische Ideologie auf Basis einiger schiitisch-islamischen Kernaspekte, die in seiner Nachfolge weiter verschärft wurde. Sie geht von Unmündigkeit der Massen aus, die von einem wohl sortierten Klerus geführt wird, der wiederum von einer militärisch treu ergebenen und ideologisch geschulten Militärkaste beschützt werden muss. Gleichzeitig verfolgt die Ideologie das Ziel, die Dekadenz der burgoisen Welt zu bekämpfen und pro-aktiv die Wiederkehr eines Messias durch Stiftung von Chaos und Blutvergiessen zu beschleunigen.

2 Weitere Bezeichnungen für Sufi: Derwisch, Mystiker. Mystik oder Gnosis, also Wissen das aus eine

inneren Zugang zur göttlichen Quelle stammt, wird als Erfan bezeichnet.

3Es ist unklar, wann der Begriff aufgekommen ist. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Mohammed, seine Nachfahren oder der Koran den Begriff Sufi verwendet.

4Zoroastrier sind Anhänger der Lehren eines gewissen Zarathustra, der im 1. oder 2. Jahrtausend vor Christus gelehrt hat.

5https://netlibrary.aau.at/obvuklhs/download/pdf/7702210?originalFilename=true

6https://www.reuters.com/article/deutschland-iran-nooke-20090622-idDEBEE55L0EN20090622

7https://dergipark.org.tr/tr/download/article-file/1860008

8https://iranwire.com/en/news/113051-iranian-gonabadi-dervish-freed-after-five-years-in-prison/

9https://amwaj.media/media-monitor/ir-mm-death-of-jailed-dervish-sparks-fury-at-iran-prison-system

10 https://iran-hrm.com/2019/04/23/sufi-woman-sima-entesari-beaten-at-qarchak-prison/

11https://www.en-hrana.org/two-gonabadi-dervishes-arrested-in-karaj-and-gorgan/

12https://www.uscirf.gov/religious-prisoners-conscience/forb-victims-database/saeed-soltanpour

13Nematollah Sultan Ali Shahi Gonabadi Orden = vollständige Bezeichnung für den größten Orden mit schiitischer Affiliation.

14Ali Chamenei ist Oberster Führer und der schwach legitimierte Nachfolger des Revolutionsführers Ruhollah Chomeini.

15Reza Tabandeh ist Neffe des verstorbenen Oberhaupts Dr. Nour-Ali Tabandeh und hat in Kanada studiert

16https://seyedazmayesh.com/

17https://en.wikipedia.org/wiki/Noor-Ali_Tabandeh

18Schergen des Regimes haben zahlreiche Versammlungshäuser der Sufi zerstört oder Frauen, Kinder und Männer des Ordens brutal malträtiert. In dieser aufgeheizten Atmosphäre, strahlte er Ruhe aus und beruhigte immer wieder die Situation ohne einzuknicken.

19https://mehriran.de/daemonisierung-der-derwische-durch-das-regime-in-iran/

20Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

21Solh-e kol: absoluter Frieden.

22dschihad akbar = übergeordneter Kampf

23https://mehriran.de/iran-es-braucht-entschlossenheit-im-umgang-mit-dem-regime/

24Vahid Beheschti, https://twitter.com/Vahid_Beheshti

25zur Unterstützung der Protestierenden in Iran

26eschgh va hambastegi = Liebe und Zusammenhalt lautete sein Motto

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