Republik der Hassprediger oder Republik der Toleranz?

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mehriran.de – In diesem Beitrag fragt Prof. Dawud Gholamasad nach der Alternative zur „Islamischen Republik Iran“ als hasserfüllter Republik. In diesem Beitrag fragt Prof. Dawud Gholamasad nach der Alternative zur „Islamischen Republik Iran“ als hasserfüllter Republik. 

Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Artikel 1 GG)

Viele in der Opposition sehen die Alternative zur „Islamischen Republik“ in einer  Säkularisierung des Staates, weil sie diese vorhandene Staatsform als eine ideologisch bzw. religiös geprägte Republik begreifen. Diese Annahme ist immer noch so wirkungsmächtig, obwohl nach Chomeini der Aufrechterhaltung des Systems absolute Priorität zukommt. Dafür dürfen sogar die Hauptgebote des Islam „zeitweise“ suspendiert werden. Damit ist die Aufrechterhaltung der Hierokratie das Grundprinzip der „Islamischen Republik“. Die Frage bleibt, ob trotz dieses realen Prozesses des sozialen Bedeutungsverlustes von Religion, – die „Verweltlichung“ die entscheidende demokratische Alternative zur „Islamischen Republik“ ist. 

Die Bejahung dieser Frage impliziert,  dass die vorrevolutionäre Säkularisierung im Sinne der Lockerung der Bindungen von Staat und Gesellschaft an die Religion zur Respektierung der Grund- und Menschenrechte geführt hätte. Haben der vorrevolutionäre soziale Bedeutungsverlust von Religion und der geringe Einfluss der Geistlichkeit in der Justiz und im Bildungswesen diese Grundwerte garantiert und zur Erweiterung der Toleranzgrenze und der Respektierung der unantastbaren Würde des Menschen geführt? Selbst die „autoritären Demokratien“ Osteuropas demonstrieren unmissverständlich, dass die Missachtung der demokratischen Grundrechte im Wesentlichen nicht religiös bedingt ist. Sie kann säkular wie „im Namen der nationalen Sicherheit“ oder aber auch religiös legitimiert werden: „Gott will, dass alle Ungläubigen bekehrt werden“.

Reicht eine Säkularisierung?

Daher ist die Säkularisierung der Staatsgesellschaft zwar eine notwendige Aspiration der Opposition, sie  reicht aber nicht aus zur Etablierung einer durch Toleranz gekennzeichneten Republik, die die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger garantieren soll. Die Demokratisierung der Staatsgesellschaft setzt die Einsicht in die Notwendigkeit der Toleranz als einem unverzichtbaren Wert einer demokratischen Wertegemeinschaft voraus, die mit anderen Grundwerten institutionell garantiert werden muss.

Dies ist nur nachvollziehbar wenn man die „Islamische Republik“ nicht ausschließlich als eine religiös bzw. ideologisch geprägte Republik begreift. Andernfalls könnte man nicht erklären, warum viele der Opfer dieser Republik selbst Muslime mit anderer „Lesart“ oder abweichenden Verhaltens- und Erlebensmustern sind. Der einzige Zugang zu diesem Problem ist, wenn die Intoleranz als prägende Charaktereigenschaft dieser Republik und deren Träger begriffen wird, die sich selbst als Maßstab von Moral, Ethik, Recht und Ästhetik begreifen. 

Ihre Intoleranz ist selbst eine Funktion unerbittlichen Hasses gegenüber jeglicher Abweichung, die der unersättlichen Feindseligkeit der Islamisten zugrunde liegt. Deswegen ist der Feindzentrismus die einzige Verhaltenssteuerung des Establishments in der „Islamischen Republik“, die ohne Feindbilder nicht existenzfähig wäre. Dies ist einsichtig, wenn man die Sozio- und Psychogenese der Hassgefühle der Islamisten gegenüber jeglicher Abweichung begreift, die zwar religiös legitimiert werden, sich aber aus der Projektion (Freuds) ihrer eigenen unwürdig empfundenen unbewussten Anteile der eigenen Persönlichkeit speisen.  

Die Würde des Menschen und die Toleranz sind als Grundwerte unverhandelbar

Manche in der Opposition sind der Meinung, dass sich die gesamte Opposition, angesichts der existentiellen Bedrohung Irans durch die Perpetuierung der „Islamischen Republik“ zusammenschließen und die Auseinandersetzungen über die Differenzen der „eigenen“ Werte verschieben sollte. Sie vergessen, dass demokratische Grundwerte nicht verhandelbar sind. Dazu gehört die Unantastbarkeit der Würde des Menschen.  Denn die Würde des Menschen und die Toleranz gehören zu den Leitwerten einer demokratisch verfassten Staatsgesellschaft. Sie korrelieren mit den Ambitionen der Bürger und bestimmen die Ausprägung der Zielsetzungen des Staates. Die Grundwerte bilden als  Leitmotive eine Art Koordinatensystem zur besseren Orientierung im Dickicht der möglichen Wertvorstellungen. Zu diesen unteilbaren Grundwerten gehören, neben der Würde des Menschen, die Leitwerte von Freiheit,  Gleichheit und  Solidarität.

Als ein Grundwert setzt die Anerkennung der Menschenwürde die Akzeptanz der Achtung gebietenden Wertes eines jedes Menschen voraus. Die uneingeschränkte Bereitschaft zur Hinnahme eines  jeden Individuums und der Grundrechte zu dessen Wahrung ist die axiomatische Grundlage aller Menschenrechte. Toleranz ist eine Abschwächung dieser Akzeptanz der Sichtweisen, Überzeugungen, Handlungen und Sitten anderer Menschen so wie sie sind. 

In einer demokratischen Staatsgesellschaft ist daher Toleranz eine unverzichtbare Haltung im Zusammenhang mit abweichenden Verhaltens- und Erlebensmustern. Sie markiert den „Spielraum“, der dem Andersdenkenden, Andersartigen, Fremdartigen etc. gewährt wird. Diese als „Freiheit“ zu fassenden Handlungs- und Entscheidungsspielräume schaffen die potentielle Grundlage für Verständigungen und Bindungen der Menschen unterschiedlicher Prägungen. Dazu ist ein gewisses Maß an Flexibilität im Sinne der Anpassungsfähigkeit der Menschen als Einzelne und Gruppen eine notwendige Voraussetzung. Der Islamismus ist demnach ein Nachhinkeffekt dieser Flexibilität der – in Modernisierungsprozessen der Gesellschaft involvierten – Menschen, der sich als Hassgefühl manifestiert und an alles abweichende Verhaltens- und Erlebensmuster bindet. 

Zur Psychogenese des hasserfüllten Islamismus

In einem Beitrag[1], in dem ich die Notwendigkeit der demokratischen Wertegemeinschaft als konstitutives Element der alternativen Republik thematisierte, habe ich die Emotionen als sozialen Kitt diskutiert, die sich in sozialen Werten manifestieren. Dabei habe ich einige Emotionen wie Angst, Wut, Schuld und Scham erwähnt, die Menschen Grenzen setzen helfen. Im vorliegenden Kontext möchte ich den Hass als eines der Grundmotive der Islamisten diskutieren, die „den“ Islam als ihre eigen definierten Werte demonstrativ hervorheben und gegen ihre „Feinde“ im Sinne des Nativismus verteidigen. 

Werte sind als Manifestation der Gefühle und als solche wie Hass immer zielgerichtet. Es gibt keine Gefühle ohne ihre Gerichtetheit und Richtungsbeständigkeit. Denn genauso wenig wie es Augen ohne Licht, eine Lunge ohne Luft, Füße ohne Erdanziehungskraft geben kann, existieren auch keine Emotionen ohne Objekte ihrer Bindung. Sie sind Wunsch- und Furchtobjekte bzw. Liebes- oder Hassobjekte von Menschen. So kann es auch kein Hassgefühl ohne Hassobjekte geben. Sie sind für die Hasser identitäts- und sinnstiftend. Sie definieren sich über ihre Hassobjekte. Deren Vernichtung ist ihr Lebenssinn. 

Die Bedeutung der Werte erfährt man als Orientierungsmittel vor allem durch einen spürbaren Mangel, wie man den Wert der Luft bei Atemnot erfährt. So ist die Erfahrung der Bedeutung der demokratischen Grundwerte eine unbeabsichtigte Folge der „Islamischen Republik“, die diese Werte systematisch einschränkt und sie in Teilbereichen vollständig unterdrückt. In diesem Sinne hat die Erfahrung der „Islamischen Republik“ nicht nur faktisch die Säkularisierung der iranischen Gesellschaft gefördert. Sie hat auch zu einem Zivilisierungsschub der Gesellschaft beigetragen, indem die Islamisten die Nonkonformisten als ihre Hassobjekte verfolgten. Daran haben sie die Bedeutung der Affektkontrolle als einer unabdingbaren Voraussetzung der Verschiebung der Balance zwischen Kooperation und Konflikt in Richtung der sozialen Kooperation erfahren.

In diesem Zusammenhang sieht man auch zugleich wie destruktiv Hass als eine der Formen der Grenzsetzung der Menschen als Einzelnen und Gruppen in den zunehmend sozial differenzierten Gesellschaften wirkt. Diese Destruktivität entsteht, wenn man den Hass nicht als eine Projektion der unbewussten eigenen unangemessenen, gar unanständig empfundenen Anteile begreift. Denn dessen Projektion ist das Verfolgen unbeliebter eigener Eigenschaften, Wünsche und Handlungsweisen bei anderen Menschen. Es handelt sich in der Praxis des Hasses um einen Abwehrmechanismus zur Bewältigung der negativ empfundenen Anteile der eigenen Persönlichkeit. Diese Projektion des eigenen „Schattens“ (Gustav Jung), also ungeliebter eigener Eigenschaften, Wünsche und Taten – vor allem solcher, die mit gesellschaftlichen Normen in Konflikt stehen, oder für die sich der Projizierende schämt – auf andere Menschen, dient dazu, sich selbst von diesen distanzieren zu können. Es handelt sich also um einen Abwehrmechanismus zur Bewältigung der Negativanteile der eigenen Persönlichkeit. Dieser Abwehrmechanismus führt aber häufig zu sozialen Konflikten, bis hin zu der Verfolgung von Minderheiten und Krieg. Denn je drängender diese unbewussten „Schatten“ sind, desto heftiger bildet sich der Hass gegen die Projektionsflächen des Hassgefühls aus. Denn Hass unterscheidet sich erheblich von dem einfachen Reflex des Ekels gegenüber abstoßend empfundenem abweichendem Verhalten anderer Personen. 

Im Hass gibt es auch eine starke, aggressive, wutausdrückende Tendenz gegenüber Menschen, deren Verhalten man als unanständig empfindet. Hier ist der Mensch insgesamt das Hassobjekt und nicht nur sein als ekelhaft, abstoßend oder beleidigend empfundenes Verhalten. Denn mit dem Ekel neigt man dazu, sich von dem Ekelhaftem zu entfernen. Mit dem Hass fühlt man sich oft besessen von den Hassobjekten angezogen, weil sie sinn- und identitätsstiftend sind. Es ist nicht so sehr der Ekel sondern diese obsessive Anziehungskraft, die Hass als eine Gefühlslage gesellschaftlich so gefährlich machen kann. Es handelt sich um eine Manifestation des Bedürfnisses der von Minderwertigkeitsgefühlen geplagten Menschen nach Selbstkonsistenz, die durch die Erniedrigung der anders Denkenden, Fühlenden und Lebenden nach Kompensation ihres eigenen Selbstwertgefühls streben. Als ein Nachhinkeffekt ihrer Flexibilität in Modernisierungsprozessen, im Sinne ihrer nachhinkenden Anpassungsfähigkeit als Einzelne und Gruppen zur veränderten sozialen Beziehungen, versagten ihre Toleranzgrenzen gegenüber den abweichenden Verhaltens- und Erlebensmuster. Sie empfinden so jede Abweichung von dem Gewohnten bedrohlich.

Damit verfehlt der Hass seine archaische Überlebensfunktion in den zunehmend entwickelnden Gesellschaften, die sich durch soziale Differenzierung auszeichnen, wie der Neuropsychologe, Antonio Damasio, es eindrucksvoll hervorhebt.[2] Reaktionen, die zu ethnischen, religiösen, sowie rassistischen und kulturellen Diskriminierung führen, beruhen teilweise auf dem automatischen Einsatz sozialer Emotionen, die evolutionär entstanden, um Unterschiede in Anderen aus existentiellen Gründen zu erkennen. Unterschiede, Risiken oder Gefahren signalisieren und fördern den Rückzug oder einen Angriff. Diese archaische Art von Reaktion war wahrscheinlich zielführend in einer Stammesgesellschaft.  

Sie sind aber für die zunehmend differenzierten Gesellschaften nicht nur unangemessen, sondern auch höchst gefährlich. Unangemessen sind sie, weil wir uns inzwischen der Tatsache bewusst sein können, dass unser Gehirn immer noch die „Maschinerie“ trägt, um so zu reagieren, wie es vor Jahrhunderten in sehr unterschiedlichen Kontexten der Fall war. Denn einzelne Menschen verkörpern die Gleichzeitigkeit der evolutionären, sozialen und individuellen Entwicklungsprozesse, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablaufen. Während die evolutionären Prozessen Jahr­mil­li­o­nendauern, bedürfen soziale und individuelle Entwicklungsprozesse Jahrhunderte bzw. Jahrzehnte. 

Aber zugleich wissen wir, dass wir auch lernen können, solche archaischen Reaktionen zu ignorieren und andere davon zu überzeugen, dasselbe zu tun. Dieser Lernprozess ist eine zivilisatorische Leistung im Sinne einer angemessenen Trieb- und Affektkontrolle, deren Sicherung und Förderung in Staatsbildungsprozessen institutionalisiert werden. Die strafrechtliche Verfolgung der Verletzung der Grundrechte ist eine der Formen dieser Sicherung solange die Selbstkontrolle nicht stabil genug ist. 

Die Alternative zur „Islamischen Republik“ muss daher diese Institutionalisierung der gesetzlich sanktionierten Selbstkontrolle der Staatsbürger und der Machthaber als unabdingbarer Voraussetzung der Unantastbarkeit der Würde des Menschen verkörpern. 

Diesen Lernprozess der zivilisatorischen Aspekte der Demokratisierung zu fördern ist aber auch eine der unaufschiebbaren Aufgaben der demokratischen Opposition in ihrem Kampf gegen die Barbarei der „Islamischen Republik“.

Hannover, 23.12.2020

https://gholamasad.jimdofree.com/kontakt/


[1] Warum man auf Könige verzichten kann, wenn man den iranischen Staat nicht mit einem Insektenstaat verwechselt.https://gholamasad.jimdofree.com/kontakt/

[2] Antonio R. Damasio, Looking for Spinoza. Joy, Sorrow, and the feeling Brain (Harcourt, Inc.) 2003, S. 40 (Deutsche Übersetzung: Der Spinoza-Effekt“, Berlin 2005)

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Kritisch zum Regime. Hintergründe, Fotos, Berichte zu Iran. Positiv zu Land und Leuten.