Interview mit Mahrokh Hafezi, franko-iranische Journalistin und Aktivistin über das Wesen des Regimes in Iran.
mehriran.de: Könnten Sie für uns die Ziele und Strategien des Regimes in Iran und seinen Kommunikationsstil zusammenfassen?
Mahrokh Hafezi: Die Islamische Republik ist im Wesentlichen ein mafiöses und terroristisches Regime, das mehr einer sektiererischen Ideologie als einer echten Religion folgt.
Diese antisemitische und dem Westen feindlich gesinnte Ideologie stammt von Chomeini. Sie zielt darauf, eine ideologische Revolution auf der ganzen Welt anzuzetteln. Sie arbeitet an der Destabilisierung westlicher Werte und der Verbreitung von Chaos.
Der Export dieser Ideologie ist ein Schlüsselanliegen des Regimes. Im Grunde ist sie eine ernste Bedrohung für den internationalen Frieden.
Was die Strategie anbelangt, stützt sich das Regime auf islamistische Söldner aus der Region, wie die Hisbollah im Libanon, sowie andere Akteure in Syrien, im Irak und im Jemen, um seinen Einfluss auszudehnen.
Gleichzeitig betreibt die Islamische Republik über seine Lobbyisten eine Diplomatie, die nichts als Fassade ist. Meistens bekommen Reformisten durch scheinbar demokratische Prozesse einen kleinen Teil der Macht, um Zeit zu gewinnen, hinter der Fassade weiter am gefährlichen Nuklearprogramm weiterzuarbeiten, während durch die Geiseldiplomatie Druck auf den Westen ausgeübt wird.
In Syrien und im Irak zum Beispiel setzt das Regime auf militärische Mittel, um gegen Gegner vorzugehen. Im Westen hingegen nutzt man das Rechtssystem und die Möglichkeiten einer offenen, demokratischen Gesellschaft, um seine Gegner zu schwächen. Man überzieht die Gegner mit Anklagen oder nutzt die Medien, um sie zu diskreditieren.
Das Regime hat es durch Infiltration geschafft, Einfluss im Ausland aufzubauen und oppositionelle Bewegungen zu spalten. Jedenfalls scheinen die Geheimdienste im Inland schwach zu sein, wie die regelmässige Enttarnung von Regime-Agenten durch die Bevölkerung zeigt.
Unhörbare Wut
mehriran.de: Wie würden Sie die aktuelle Atmosphäre in der iranischen Gesellschaft beschreiben?
Mahrokh Hafezi: Ungeachtet einer scheinbaren Ruhe an der Oberfläche, ist die Protestbewegung im Iran sehr lebendig. Es ist wie ein Schwelbrand, der sich jederzeit entflammen kann.
Jeden Tag brechen lokale Demonstrationen aus. Insbesondere protestieren Lehrer-Gewerkschaften, Arbeiter, Beschäftigte in der Pflege oder im öffentlichen Verkehr. Das sind Zeugnisse eines kontinuierlichen Widerstandes, auch wenn das Ausmass noch keine Massenrevolution erreicht hat.
Die Menschen haben die blutige Unterdrückung satt, vor allem da sie die mangelnde Unterstützung aus dem Westen feststellen. Sie fragen sich: wozu sterben, wenn der Westen noch nicht einmal die Revolutionsgarden (IRGC) auf die Terrorliste setzen? Das Mullah-Regime hat es geschafft eine grosse Anzahl von Oppositionellen auszuschalten, trotzdem herrscht eine unhörbare Wut.
Ein grosser Teil der Bevölkerung, oft als „die Stillen“ bezeichnet, macht sich keinerlei Illusionen über den Staat. Diese ernüchterten Bürger boykottieren häufig die Wahlen und verfolgen die Situation mit Argwohn. Danke der sozialen Medien hat sich der Zugang zu Nachrichten im Iran gut entwickelt, trotz der ganzen Zensurmassnahmen durch das Regime. Das ermöglicht den Menschen, mit der Protestbewegung in Verbindung zu bleiben und Nachrichten auszutauschen.
In Summe ist die revolutionäre Bewegung nicht ausgelöscht. Sie passt sich taktisch den Repressionen des Regimes an und die Wut bleibt tief in der iranischen Gesellschaft verwurzelt.
Perspektiven für die Menschen in Iran
mehriran.de: Welche Perspektiven haben Menschen bezüglich Freiheit, Wirtschaft und Stabilität in der Region?
Mahrokh Hafezi: Aus meiner Sicht gibt es keine wirtschaftliche Stabilität im Iran und auch nicht in der Region, solange dieses Regime an der Macht ist. Die Hauptprofiteure dieser Situation sind einige westliche Länder, sowie Verbündete des Regimes in Iran wie China, Nordkorea und Russland.
Der grosse Verlierer bleibt leider die Bevölkerung im Iran, die an den wirtschaftlichen, politischen und sozialen Folgen dieser Instabilität leidet.
Es gibt für die Menschen in Iran eine gangbare Möglichkeit zur Freiheit: die Einigkeit. Es ist entscheidend, dass alle Oppositionellen im In- oder Ausland ihre ideologischen Differenzen beiseitelegen und sich um ein gemeinsames Zielen zusammenschliessen: den Sturz der Islamischen Republik und die Errichtung einer wahrhaften Demokratie.
Im Innern des Landes kann man diese Einigkeit bereits bei den Demonstrationen und den Oppositionellen beobachten. Sie fokussieren ihren Einsatz auf den Umsturz des Regimes. Ihre Entschlossenheit sich von dieser Diktatur zu befreien ist nicht zu leugnen. Allerdings ist die Situation für die Opposition im Exil etwas schwieriger.
Im Ausland schwächen Meinungsverschiedenheiten und ideologische Unterschiede innerhalb der Opposition, die durch das Regime genährt werden, die Protestbewegung beträchtlich. Diese Spaltungen, ob gewollt oder nicht, spielen dem theokratischen Regime in die Karten. Die Querelen nutzen dem Regime, an der Macht zu bleiben. Es kommt auch vor, dass einige Oppositionsgruppen vom Regime infiltriert sind oder dass manche alle Hoffnungen verloren haben und ein Doppelspiel spielen, was den Widerstand noch mehr schwächt. Kurz gefasst, der Schlüssel für eine freiheitliche Zukunft im Iran liegt in der Einigkeit oppositioneller Kräfte im In- oder Ausland.
Es gebietet sich, die Unterschiede zu überwinden und sich auf das gemeinsame Ziel zu konzentrieren: der Tyrannei des aktuellen Regimes ein Ende zu bereiten.
Regionale Stabilität
Eine regionale Stabilität scheint momentan ausser Reichweite zu sein. Wie ich bereits betont habe, müssen alle Friedensbemühungen für den Mittleren Osten mit einer Lösung der Situation in Iran beginnen.
Das Regime in Iran verhält sich wie der Kopf eines Kraken, dessen Arme sich in der ganzen Region ausbreiten, die benachbarten Länder destabilisieren und mittels seiner Agenten und bewaffneten Gruppen Chaos verbreiten. Das einzige Mittel diesen destabilisierenden Einfluss zu beenden, ist der Sturz des Regimes.
Wenn der Kopf des Kraken einst abgetrennt ist, kann sich der Iran stabilisieren und ein positiver Akteur in der Region werden. Eine demokratische und gefestigte Regierung im Iran wird eine Schlüsselrolle spielen, zu einem friedlichen und stabilen Mittleren Osten zurück zu kehren, wenn wir die geopolitische Bedeutung des Landes in Betracht ziehen.
Der Mittlere Osten ist aus zahlreichen Nationen zusammengesetzt, die sich im Umbruch befinden. Diese sind häufig Opfer der herausfordernden Entwicklungen.
Mit einem stabilen und kooperativen Iran, könnte es möglich sein, alle diese Länder um einen Tisch zu versammeln, um gemeinsame Lösungen zu besprechen und an der Errichtung von Frieden und Sicherheit zu arbeiten.
Noch einmal, die erste Etappe hin zu einer regionalen Stabilität von Dauer geht über den Sturz des Regimes in Iran. Dies öffnet den Weg zu einer kontinuierlichen Entwicklung und einem nachhaltigen Frieden in der gesamten Region.
@mehriran.de, 29.09.24 – Übersetzung aus dem Französischen Helmut N. Gabel
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