Säkulare Demokratie in Iran – der Traum von Schapur Bachtiar

Schapur Bachtiar

In den Mittelpunkt meiner ganzen politischen Überlegungen setze ich die Menschen. Ihr Wohlergehen ist mein Hauptanliegen.“ Schapur Bachtiar

Schapur Bachtiar, der letzte von Mohammad Reza Schah am 28. Dezember 1978 eingesetzte Premierminister, wollte zunächst ein Bollwerk gegen die islamistischen Barbaren hinter Ajatollah Chomeini errichten: „Ich bin der festen Überzeugung, dass der Iran noch nicht reif für eine demokratische Republik ist. Und wenn die Nation so weit ist, eine Demokratie zu sein, kann dies auch in Form einer konstitutionellen Monarchie geschehen. Zurzeit ist es allerdings unsere wichtigste Aufgabe, diese Barbaren zu stoppen.“

Doch die revolutionären Ereignisse überschlugen sich, der Schah verliess das Land am 16. Januar 1979, die Armee erklärte vermutlich auf Intervention der Carter Administration ihre Neutralität, während Chomeini am 1. Februar 1979 aus seinem französischen Exil nach Teheran kam, die Regierung Bachtiar für illegitim erklärte und Mehdi Bazargan zum neuen Premierminister ernannte.

Am 14. Februar 1979 wurde die Teheraner US-Botschaft zum ersten Mal von bewaffneten, linksgerichteten Guerillakämpfern der Fedajin-e Chalq Organisation erstürmt. 102 Botschaftsangehörige wurden als Geiseln genommen. Bewaffnete Kräfte Chomeinis griffen ein, räumten die Botschaft, befreiten die Geiseln und übergaben die Botschaft wieder an die USA.

Die Bachtiaren

Ob sie mit Alexander dem Grossen in den Iran kamen und so zu dem Namen Bachtiaren (die Glückhabenden) kamen (Die Perser betrachteten Alexanders Sieg über sie als pures Glück, persisch: bacht), oder ob sie die Nachfolger der Baktrier (persisch: Bahtari) aus dem heutigen Nord-Afghanistan stammen und in das Zagros-Gebirge gezogen sind oder gar ein Bergvolk kurdischen Ursprungs sind, beschäftigt Ethnologen und andere Forscher.

Im Überblick iranischer Neuzeit Geschichte spielen einige Persönlichkeiten dieses Stammes bedeutende Rollen in der Politik. Ali-Qoli Chan Sardar Asad II lebte um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert und war ein gefragter und uneigennütziger Schlichter in Stammesangelegenheiten. Er lebte einige Jahre in Frankreich (Paris). Nach seiner Rückkehr setzte er sich für die konstitutionelle Bewegung ein. So befehligte er 1909 die Bachtiari-Truppen als sie die in Teheran eingeschlossenen Parlamentarier von den russischen Kosakenbrigaden befreiten.

Nadschaf-Qoli Chan Bachtiari (Samsam al Saltane) war der Grossvater von Schapur Bachtiar mütterlicherseits und der ältere Bruder von Ali-Qoli. Er war das Oberhaupt der Stammesverbände der Bachtiaris. Er diente als Premierminister und war einer der Anführer der konstitutionellen Revolution von 1909.

Auch die erste Frau von Mohammed Reza Schah entstammte dem mächtigen Stamm. Soraya Esfandiari Bachtiari hatte in Lausanne und Montreux Internatsaufenthalte. Ihr Vater hatte 10 Jahre lang (1951-1961) als kaiserlich-iranischer Botschafter in Berlin gedient. Die Ehe wurde schliesslich aus Gründen der Staatsräson kinderlos geschieden.

Teymur Bachtiar war General und der erste Geheimdienstchef (SAVAK, 1957-1961). Er hatte 1945 gegen Stalins Rote Armee gekämpft, der sich weigerte seine Sowjettruppen aus dem Norden Irans zurückzuziehen. Auch Teymur hatte starke Bezüge nach Frankreich, wo er Aufnahme in die Saint-Cyr Militärakademie fand. Er tat sich als Militärgouverneur von Teheran bei der Verfolgung von Schah-Gegnern hervor, besonders Anhänger der Moskau treuen Tudeh Partei waren in seinem Fokus, aber auch Anhänger des damaligen Ministerpräsidenten Mossadeghs im Rahmen der Operation Ajax.

Später baute Teymur Bachtiar den SAVAK-Geheimdienst zu einem mächtigen Staat im Staate aus. Sein Leben endete nach vielen Intrigen und Wirrungen als Gegner des Schah im irakischen Exil angeblich bei einem Jagdunfall.

„Übergangsallianz zur Wiedereinsetzung der Nationalen Verfassung“ am Grab

Eine Abordnung der „Übergangsallianz zur Wiedereinsetzung der Nationalen Verfassung“ traf sich am Tag von Dr. Bachtiars Berufung zum Premierminister 1978 an seinem Grab in Paris. Frau Mahroukh Hafezi hielt folgende Rede:

« Liebe Freunde, seid gegrüsst,

„Selbst wenn es mein Leben kostet, meinen Ruf und meine Ehre, werde ich nicht zulassen, dass mein Land an den Rand von Zerstörung und Ruin gedrängt wird.

Ich schwöre, dass ich bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen werde gegen Separatisten und jene, die von Nationen innerhalb Irans oder andere Flaggen als die Trikolore sprechen. Die Feinde dieses Landes müssen wissen, dass ich im vollen Bewusstsein der misslichen Lage dieser Nation Verantwortung auf mich genommen habe. Mit der Kraft des Vertrauens und eurer aller Unterstützung, liebe Freunde, hoffe ich, die Ordnung wiederherzustellen und das Land in eine echte soziale Demokratie zu führen. Auf diesem Weg suche ich die Unterstützung des Allmächtigen und aller, die mich kennen. Weder Drohungen, noch Zweifel werden mich davon abhalten, meinen Dienst zu leisten. Ich bin ein Sturmvogel, Stürme fürchte ich nicht. Ich bin eine Welle, doch keine, die das Meer flieht.“

Solche Sätze sprach der verstorbene Dr. Schapur Bachtiar.

Heute, am Samstag, 28. Dezember 2024, haben wir, eine Ansammlung von Anhängern des verstorbenen und hoch geschätzten Dr. Schapur Bachtiar, uns an seinem Grab versammelt. Wir sehen ihn als Fahnenträger für Säkularismus und Sozialdemokratie für einen freien und unabhängigen Iran von Morgen. Wir ehren das Andenken seiner beharrlichen und ernsthaften Kämpfe, die ihn sein Leben und das Leben naher Mitstreiter gekostet haben.

Wir, Mitglieder der „Übergangsallianz zur Wiedereinsetzung der Nationalen Verfassung“, verpflichten uns den Kampf von Dr. Schapur Bachtiar, den er vor Jahren ausserhalb Irans gegen die Islamische Republik begonnen hat, fortzusetzen. Dr. Schapur Bachtiar war eine gesetzestreue Persönlichkeit, die daran glaubte, dass der einzige Weg zu einem freien Iran durch Verfassungstreue und durch ein Referendum sei. Er hat unaufhaltsam darauf hingewiesen, dass Recht ein Garant für Freiheit, Demokratie und Trennung von Religion und Staat ist. Obwohl die radikalen Islamisten in Iran die Macht erlangt haben, hörte Dr. Bachtiar niemals auf zu kämpfen. Er gründete die „Iranische Bewegung des nationalen Widerstands“ im Ausland und lud alle ein mitzumachen, die Freiheit und Demokratie suchten.

Treu sein gegenüber der Verfassung – das authentischste Gesetzesdokument und Ergebnis jahrelangen Kampfes und blutiger Opfer vieler historischer Persönlichkeiten dieses Landes – bleibt die nationale Charta, hinter der sich die Opposition zu dem heutigen Regime vereinen kann.

Diese Grundlage kann bekannte Oppositionsfiguren um ein einziges, historisches und rechtmässiges Dokument zusammenbringen, um ihre Meinungsverschiedenheiten ein für alle Mal beiseite zu legen und sich auf einen freien und prosperierenden Iran von Morgen zu fokussieren.

Für dieses Dokument haben ehrbare Individuen ihr Leben, ihr Reichtum und ihre Würde hingegeben, um die Geschichte Irans zu formen. »

Säkularismus und Demokratie

Schapur Bachtiar floh 1979 nach Paris. Dort nahm er den Kampf gegen das Barbarentum und das unmenschliche Regime unter Leuten wie dem „roten Ajatollah“, Todesrichter Chalchali, auf. Bachtiar gründete die Nationale Widerstandsbewegung des Irans (nicht zu verwechseln mit dem Nationalen Widerstandsrat der Volksmudschahedin von Frau Maryam Rajavi).

Bachtiar setzte sich zeit seines Lebens für eine strikte Trennung von Staat und Religion ein. Er wusste gemässigte Nationalisten und konstitutionelle Monarchisten hinter sich. In der Anfangsperiode des neuen Obersten Führers Ali Chamenei, war es dem Geheimdienst des Regimes wichtig, möglichst viele potenziell gefährliche Gegner auszuschalten. Trotz strengster Sicherheitsvorkehrungen, gelang es drei Agenten des Regimes ihn in seinem Haus in Suresnes bei Paris auf brutalste Weise umzubringen.

Schapur Bachtiar mit einem Foto Mossadeghs

Schapur Bachtiar

Am 5. August 1980 gründete Dr. Bachtiar zusammen mit zahlreichen Anhängern die Nationale Bewegung des Iranischen Widerstands in Paris. Damit nahm er Bezug auf die Nationale Widerstandsbewegung, die nach dem Sturz der Regierung Mossadegh 1953 geschaffen wurde. Er rief alle liberal-nationalistischen Gruppen und Individuen auf, ihre Kräfte unter dieser Bewegung zu bündeln. Hauptziel war die Schaffung eines demokratischen Systems, das auf den freien Willen der Bevölkerung baut und ein freies, Wohlstand- und Werte orientiertes Leben ermöglicht. Er bestand auf einer pluralistischen politischen Struktur, wobei er ein Bekenntnis zu Nationalismus, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit als Bedingungen für eine Mitgliedschaft erhob.

In diesem Haus wurde Dr Schapur Bachtiar 1991 brutal ermordet. Gartenansicht Rue Cluseret, Suresnes bei Paris.

Am 6. August 1991 wartete Schapur Bachtiar in der Rue Cluseret, Suresnes auf seinen langjährigen Assistenten und Vertrauten Fereydun Boier-Achmadi und zwei ihm fremde Personen, die sich in den Dienst seiner Arbeit stellen wollten. Dadurch passierten die drei Personen, nachdem sie ihre Pässe abgegeben hatten, die Sicherheitsschleuse. Kurze Zeit später hatten sie Bachtiar die Kehle durchgeschnitten, mit vielen Stichen verstümmelt und das Haus verlassen. Der Mord blieb für mindestens 36 Stunden unentdeckt. Die Mörder verstreuten sich. Ali Vakili-Rad wurde in Genf festgesetzt und später in Frankreich zu 10 Jahren Haft verurteilt. Schon nach kurzer Zeit kam er jedoch frei und wurde in den Iran abgeschoben, wo er als Held empfangen und belohnt wurde. Mohammad Azadi und Fereydun Boier-Achmadi entkamen. Boier-Achmadi soll vor zwei Jahren im Zusammenhang mit Covid just am Jahrestag der Ermordung von Bachtiar verstorben sein.

Nach dem Fall des Regimes

Aufgrund einer miserablen wirtschaftlichen, militärstrategischen und moralischen Lage in Iran, wachsen die Hoffnungen einer überwiegenden Mehrheit der Menschen in Iran und im Exil, dass das Regime mit Unterstützung militärisch und politisch potenter westlicher Mächte gestürzt wird.

Seit Monaten protestieren oder streiken Ölarbeiter, Lehrer, Krankenschwestern, Busfahrer, Rentner und andere gewerkschaftlich organisierte Gruppen in unterschiedlichen Provinzen des 85 Millionen Landes gegen unbezahlte oder sehr niedrige Löhne, gegen katastrophale Arbeitsbedingungen und anderes mehr. Eine nicht dagewesene Energiekrise mit stundenlangen Stromausfällen frustriert die Menschen. Der Verfall der iranischen Währung Rial hört einfach nicht auf.

Am Sonntag traten Kaufleute des Bazars in Teheran in einen Streik wegen untragbarer wirtschaftlicher Umstände. Wenn sich dieser Streik ausweiten sollte, könnte es für das Regime gefährlich werden. Die Zeichen der Zeit stehen auf weltweiten gesellschaftlichen Veränderungen. Jimmy Carter, ehemaliger Präsident der USA, der den Übergang vom Schah zu Ajatollah Chomeini befürwortet und mit eingefädelt hat, ist gerade 100-jährig verstorben.

Am 20. Januar wird Donald Trump zum 47. US-Präsidenten vereidigt. Es ist zu erwarten, dass er das Regime in Iran weiter in die Enge treiben wird. Im Ausland bereiten sich verschiedene Gruppen auf die Zeit nach dem Sturz vor. Der Sohn des Schah, Prinz Reza Pahlavi, wird sowohl von eingefleischten Monarchisten als auch von Leuten unterstützt, die in ihm eine verbindende Führungsfigur sehen. Als best organisierte Exilgruppe finden die Volksmudschahedin in den USA und in Grossbritannien prominente Unterstützung unter Politikern.

Die Frage wird sein, wie der Übergang in einen Iran, in der die vielfältige iranische Gesellschaft an politischen Entscheidungsfindungen partizipieren kann, auf friedliche Weise gelingt. Am 46. Jahrestag der Ernennung Schapur Bachtiars zum Premierminister hielt die Gruppe um den Pariser Juristen Dr. Seyed Mostafa Azmayesh auf dem Friedhof von Montparnasse eine Gedenkfeier ab. Die Gruppe knüpft an den Geist Bachtiars an, eine säkulare Demokratie in Iran zu etablieren. Sie will bekannte Exiliraner für einen zukünftigen freien Iran hinter der Verfassung der konstitutionellen Monarchie von 1906 vereinen. Diese wurde von Chomeini nie ganz abgeschafft. Seine Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten wurde stattdessen in Kraft gesetzt und bringt seither den Menschen in Iran und in der Region unermessliches Leid.

©Helmut N. Gabel, mehriran.de

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