Beitrag von Matthias Boehning, ISHR/IGFM Generalsekretär zum Pressegespräch am 29.11.24 in Berlin
Die Politik Europas gegenüber dem islamistischen Regime im Iran ist zwar weder komplett schlecht, noch komplett gut. Aber sie ist naiv, unentschlossen und damit ineffektiv.
Auf der positiven Seite ist zu vermerken, dass Europa über die letzten fünf Jahre durchaus durch eine Mischung aus diplomatischen Initiativen, Wirtschaftssanktionen und Menschenrechtsarbeit versucht hat, auf das islamistische Regime im Iran einzuwirken. Als Reaktion auf die nuklearen Aktivitäten des Iran und das Agieren des islamistischen Regimes in der Region hat die EU eine Reihe von Sanktionen gegen iranische Einzelpersonen und Organisationen verhängt.
Zu diesen Massnahmen gehörten das Einfrieren von Vermögenswerten und Reiseverbote, die sich insbesondere gegen Personen richteten, die an Menschenrechtsverletzungen und an der Entwicklung von Raketentechnologie beteiligt sind. So hat die EU beispielsweise im Mai 2024 ihre Sanktionen auf das iranische Raketenprogramm ausgeweitet, um gezielt die militärischen Fähigkeiten Teherans zu schwächen. Und ganz aktuell weitete die EU am 18. November 2024 ihre Sanktionen gegen den Iran als Reaktion auf die militärische Unterstützung des Krieges Russlands in der Ukraine durch Teheran aus.
Die kürzlich beschlossenen Massnahmen richten sich gegen Einrichtungen und Personen, die an der Lieferung von in Iran hergestellten unbemannten Luftfahrzeugen (UAVs), Raketen und damit zusammenhängenden Technologien nach Russland beteiligt sind.
Was bei der Politik Europas negativ ins Gewicht fällt
Negativ fällt jedoch ins Gewicht, dass die Politik Europas der letzten fünf Jahre gegenüber dem islamistischen Regime im Iran viel zu häufig inkonsistent, unkoordiniert, blauäugig und generell zu kraftlos war. Allen voran ist die fast durchgängige Appeasement-Politik der EU mit dem Ziel der Bewahrung des Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) nach dem Rückzug der USA daraus im Jahr 2018 zu nennen. Dass der Iran unter dem Atomabkommen seinen Einfluss im Nahen Osten ausweiten und damit unter anderem viele Staaten der Region destabilisieren konnte, scheint in Brüssel und bei vielen EU-Mitgliedsstaaten noch nicht realisiert worden zu sein.
Leider ist Deutschland eines der Länder, das mit der Naivität geglänzt hat, das iranische Regime besänftigen zu wollen. So konnten in der jüngeren Vergangenheit pro-iranische Kräfte und Milizen in der gesamten Region nahezu ungehindert Fuss fassen. Auch die Geiseldiplomatie der EU ist stark ausbaufähig: Nicht nur hier, aber hier besonders, muss die EU dringend sicherstellen, dass alle EU-Mitgliedstaaten mit einer Stimme sprechen, Geiselnahmen verurteilen und ihre politischen und diplomatischen Reaktionen aufs Engste koordinieren, um bilaterale Verhandlungen zwischen dem Iran und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten (wie im Fall des Gefangenenaustauschs zwischen Schweden und dem Iran im Juni 2024) künftig zu vermeiden.
Die EU muss sich öffentlich zu einer Politik der Nichtnachgiebigkeit in Geiselnahmesituationen („No-Concessions Policy“) bekennen, um die Anreize für Geiselnahmen zu verringern. Ausserdem muss EU-weit entschieden gegen iranische Botschaften oder Konsulate vorgegangen werden (gegebenenfalls durch Zwangsschliessung), die in welcher Form auch immer an Geiselnahmen oder Spionageaktionen beteiligt waren.
Kaja Kallas zur Hohen Vertreterin der EU für Aussen- und Sicherheitspolitik ernannt
Die Ernennung der bisherigen Premierministerin Estlands Kaja Kallas zur Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Aussen- und Sicherheitspolitik ist ein Grund für vorsichtigen Optimismus. Sie hat bereits eine entschlossenere Haltung gegenüber dem Iran im Vergleich zu ihrem Vorgänger Josep Borrell angekündigt. Während der Anhörung zur Bestätigung ihres neuen Amtes im November 2024 betonte Kallas die Notwendigkeit eines „neuen Ansatzes“ gegenüber dem Iran und schlug einen strengeren politischen Rahmen vor.
Politik Europas könnte sich wandeln
Aus dem European External Action Service (EEAS) hört man zudem, dass die EU plane, einen „Neuen Pakt für den Nahen Osten“ zu entwickeln und damit ihre Strategie für die Region zum ersten Mal auf Papier festzuhalten. Auch das kürzlich abgehaltene erste Gipfeltreffen zwischen der EU und den GCC-Staaten, sowie die in dessen Folge geplanten „Strategic and Comprehensive Partnerships“ mit diesen Ländern lassen hoffen, dass die EU ein neues Momentum im Engagement mit der Region entwickeln wird. Es wäre nur folgerichtig, wenn sich auch daraus eine entschlossenere Haltung der EU dem Iran gegenüber ableiten würde.
Revolutionsgarden endlich auf die Terrorliste setzen!
Von ungebrochener Wichtigkeit ist nach wie vor, gegen eine Wurzel vielen Übels wesentlich entschlossener als je zuvor vorzugehen und endlich den Korps der Islamischen Revolutionsgarde (Islamic Revolutionary Guard Corps, IRGC) auf die EU-Terrorliste zu setzen. Dass dies aus verschiedenen rechtlichen Gründen nicht möglich sei, kursierte viel zu lange als Gerücht in EU-Kreisen. Alle diese scheinbaren Gründe sind widerlegt, was eine umfangreiche Studie belegt, die wir mit dem heutigen Pressegespräch in deutscher Sprache verfügbar machen.
Alles, was nun noch erforderlich ist, ist der politische Wille der 27 Außenminister, die die Terrorlistung der IRGC einstimmig beschliessen müssen. Um eine entschlossene Haltung der EU gegenüber dem islamistischen Regime im Iran zu verdeutlichen, wäre dies der wichtigste politische Schritt im Jahr 2025. Die neue Bundesregierung muss sich von Anfang an auf EU-Ebene sowie gegenüber den anderen EU-Mitgliedstaaten dafür starkmachen.
©Matthias Boehning, IGFM, Die Politik Europas gegenüber dem islamistischen Regime, 29.11.2024