Es hätte ein triumphaler Moment für das Regime in Iran werden sollen: ein Konzert auf dem symbolträchtigen Azadi (Freiheit)-Platz. Doch die Mullahs scheinen kalte Füsse bekommen zu haben. Das Konzert wurde abgesagt.
Homajun Schadscharian ist Sohn und musikalischer Erbe seines berühmten Vaters Mohammad Resa, dessen Musik weltweit geschätzt wird.
Manipulationsversuch des Regimes
Die Islamische Republik kündigte das geplante Konzert auf dem Azadi-Platz mit grossem Tamtam in den staatlichen Medien an. Der Azadi-Platz steht in der kollektiven Erinnerung der Iraner für Revolution, Versammlungen und Proteste. Er sollte als Showraum für eine nationale Feier und Versöhnung mit den Revolutionsgarden und dem Regime dienen.
Die Botschaft im In- und Ausland sollte wohl sein, dass die Regierung nach wie vor in der Lage ist, grosse kulturelle Versammlungen abzuhalten. Vor allem sollte dem Westen eine gesellschaftliche Geschlossenheit hinter dem Regime suggeriert werden.
Den grossen westlichen Medienhäusern hätte man ins Textbuch geschrieben, die Menschen in Iran seien bereit, anstatt zu protestieren, gemeinsam mit loyalen Künstlern zu feiern, dass Veränderungen und Reformen bevorstünden. Auf solche Shows fällt man im Westen seit 46 Jahren herein.
Victoria Azad, eine iranische Dissidentin mit Wohnsitz in Schweden, schreibt dazu: „Auf den ersten Blick war dies die Propagandastrategie des Regimes: Homajuns Ruhm zu nutzen, um Legitimität zu reproduzieren und die Proteststimmung zu neutralisieren.“
Reaktionen: Spott und Hohn
Die Rückmeldungen aus der Gesellschaft verliefen jedoch entgegen den Erwartungen des Regimes. Viele Menschen warfen Homajun vor, mit den Revolutionsgarden und den Bassidschi kooperiert zu haben, um eine Genehmigung zu erhalten, und seinen Ruf an die Regierung verkauft zu haben.
In sozialen Netzwerken wurden Dutzende von Beiträgen und Videos veröffentlicht, in denen er als „verabscheuungswürdig“ bezeichnet wurde. Homajun steht jetzt als Künstler da, der sich dem Regime anbiedert. Auf dem Höhepunkt der Diskussionen veröffentlichte Mehdi Yarrahi (ein kritischer und verbotener Sänger) einen Kommentar dazu. Mehdi Yarrahi wies darin darauf hin, dass Homajun Schadscharian nicht nur im Widerspruch zum Erbe seines Vaters (er galt als die Stimme des Volksprotestes) steht, sondern seine Kunst zu einem Instrument zur Normalisierung des Regimes degradiert hat.
Der Spott ging so weit, dass viele humorvolle und kritische Bilder und Cartoons im virtuellen Raum geteilt und bissig kommentiert wurden. Homajun mit Ali Chamenei, anderen Mullahs oder Reformpolitikern.
Kritik gibt es an ihm auch, weil er ausserhalb Irans lebt und bei einem Konzert in Iran wohl persönlich dafür gesorgt hat, dass eine Zuschauerin ihr Kopftuch wieder aufsetzen musste.
#HomayounShajarian lives outside of Iran, enjoys more freedom than most Iranians of his age (men and women), then, goes back home to tell a woman to fix her hijab… I am really confused ! pic.twitter.com/Hz3ahcVDaR
— Olivia Pope (@OliviaPopeCA) September 3, 2025
Diese Reaktionen zeigen, dass die iranische Gesellschaft nicht mehr so leicht auf „graue Figuren“ hereinfällt. Wer sich auf die Revolutionsgarden oder Bassidschi verlässt, um eine Genehmigung zu erhalten, wird direkt in das Lager der Machthaber eingeordnet. Homajun beachtet diese Proteste wenig. Er schreibt an seine Anhänger: „Meine Lieben, meine Vermutung hat sich nun endgültig bestätigt: Bis jetzt und in den letzten zwei Tagen wurde unsere Ausrüstung nicht hereingelassen, und es scheint keine Kapazitäten zu geben, um die Millionen Menschen zu bewältigen, die zu dieser Aufführung erwartet werden.“

Absage des Konzerts auf dem Azadi-Platz
Das Regime reagiert sensibel auf solche Stimmen. Es fürchtet einen Ceausescu-Moment, der sich gegen seine Herrschaft wenden könnte. Nicolae Ceaușescu, langjähriger Diktator im kommunistischen Rumänien, verkannte die Kraft einer grossen Menschenansammlung, deren Proteste ihn zur Flucht aus Bukarest zwang. Anschliessend brach das Regime zusammen.

Das Regime muss zum Schluss gekommen sein, dass das Konzert auf dem Azadi-Platz nicht nur Legitimität bringen würde, sondern sich auch gegen es selbst wenden könnte.
Aus diesem Grund wurde plötzlich bekannt gegeben, dass das Konzert in das Azadi-Stadion verlegt werden würde. Diese Änderung war praktisch ein Eingeständnis des Scheiterns des ursprünglichen Projekts.
Victoria Azad schreibt dazu: „Die Initiative des Regimes, eine Feier zur Erneuerung des Bundes zwischen dem Volk und der Regierung mit Homajunun Schadscharian als Hauptdarsteller zu veranstalten, scheiterte angesichts des Reverse Engineering des Volkes. Ein Künstler, der als Propagandabrücke dienen sollte, wurde zum Symbol für Opportunismus und Abhängigkeit. Und das neutralisierte die gesamte Show.“
Und fragt: „Die entscheidende Frage: Sollten die Menschen zum Konzert im Azadi-Stadion gehen und es zu einer Protestarena machen oder es komplett boykottieren?“
Musik hat eine verbindende Wirkung. Sie kann genutzt werden, um Menschen hinter einer Sache zu vereinen. Sowohl Diktatoren nutzen die Kraft der Musik, als auch Freiheitsaktivisten. Musiker können sich fragen, in wessen Diensten sie stehen wollen. Hörerinnen und Hörer müssen sich diese Frage auch gefallen lassen.
@Helmut N. Gabel, mehriran.de, 03.09.2025


